Entscheidungsstichwort (Thema)
Freier Kapitalverkehr. Art. 40 und Anhang XII des EWR-Abkommens. Erwerb eines Zweitwohnsitzes im Land Vorarlberg (Österreich) durch Staatsangehörige des Fürstentums Liechtenstein. Verfahren der vorherigen Genehmigung. Zulässigkeit
Normenkette
EuGH-VerfO Art. 104
Beteiligte
projektart Errichtungsgesellschaft mbH |
Tenor
Art. 40 des Abkommens über den Europäischen Wirtschaftsraum vom 2. Mai 1992 ist dahin auszulegen, dass er einer nationalen Regelung wie der im Ausgangsverfahren fraglichen, die unter Berufung auf Art. 6 Abs. 4 der Richtlinie 88/361/EWG des Rates vom 24. Juni 1988 zur Durchführung von Artikel 67 des Vertrages [Artikel aufgehoben durch den Vertrag von Amsterdam] einem Staatsangehörigen des Fürstentums Liechtenstein den Erwerb eines in einem Mitgliedstaat der Union gelegenen Zweitwohnsitzes untersagt, entgegensteht, so dass eine innerstaatliche Behörde diese nationale Regelung unbeachtet zu lassen hat.
Tatbestand
In der Rechtssache
betreffend ein Vorabentscheidungsersuchen nach Art. 267 AEUV, eingereicht vom Unabhängigen Verwaltungssenat des Landes Vorarlberg (Österreich) mit Entscheidung vom 22. September 2010, beim Gerichtshof eingegangen am 1. Oktober 2010, in dem Verfahren
projektart Errichtungsgesellschaft mbH,
Eva Maria Pepic,
Herbert Hilbe
erlässt
DER GERICHTSHOF (Achte Kammer)
unter Mitwirkung des Kammerpräsidenten K. Schiemann, des Richters L. Bay Larsen und der Richterin A. Prechal (Berichterstatterin),
Generalanwältin: J. Kokott,
Kanzler: A. Calot Escobar,
gemäß Art. 104 § 3 Abs. 1 der Verfahrensordnung, wonach der Gerichtshof durch mit Gründen versehenen Beschluss entscheiden kann,
nach Anhörung der Generalanwältin
folgenden
Beschluss
Entscheidungsgründe
Rz. 1
Das Vorabentscheidungsersuchen betrifft die Auslegung von Art. 40 des Abkommens über den Europäischen Wirtschaftsraum vom 2. Mai 1992 (ABl. 1994, L 1, S. 3, im Folgenden: EWR-Abkommen).
Rz. 2
Es ergeht im Rahmen eines Rechtsstreits zwischen der projektart Errichtungsgesellschaft mbH (im Folgenden: projektart), Frau Pepic und Herrn Hilbe einerseits und der Grundverkehrs-Landeskommission des Landes Vorarlberg (Österreich) andererseits wegen deren Weigerung, Frau Pepic und Herrn Hilbe den Erwerb einer Wohnung von projektart zu gestatten, weil die in den Rechtsvorschriften des Landes Vorarlberg für den Erwerb eines Zweitwohnsitzes durch Ausländer aufgestellten Voraussetzungen nicht erfüllt seien.
Rechtlicher Rahmen
EWR-Abkommen
Rz. 3
Art. 40 des EWR-Abkommens bestimmt:
„Im Rahmen dieses Abkommens unterliegt der Kapitalverkehr in Bezug auf Berechtigte, die in den [Mitgliedstaaten der Europäischen Gemeinschaft] oder den [Staaten der Europäischen Freihandelsassoziation (EFTA)] ansässig sind, keinen Beschränkungen und keiner Diskriminierung aufgrund der Staatsangehörigkeit oder des Wohnortes der Parteien oder des Anlageortes. Die Durchführungsbestimmungen zu diesem Artikel sind in Anhang XII enthalten.”
Rz. 4
Anhang XII („Freier Kapitalverkehr”) des EWR-Abkommens nimmt auf die Richtlinie 88/361/EWG des Rates vom 24. Juni 1988 zur Durchführung von Artikel 67 des Vertrages [Artikel aufgehoben durch den Vertrag von Amsterdam] (ABl. L 178, S. 5) Bezug.
Rz. 5
In diesem Anhang XII heißt es:
„…
Die Richtlinie [88/361] gilt für die Zwecke dieses Abkommens mit folgenden Anpassungen:
…
„e) Unbeschadet des Rechts der EFTA-Staaten, Vorschriften zu erlassen, die mit dem Abkommen vereinbar sind, insbesondere Vorschriften zur Regelung des Erwerbs von Zweitwohnsitzen, welche in ihrer Wirkung den in der Gemeinschaft nach Artikel 6 Absatz 4 der Richtlinie aufrechterhaltenen Rechtsvorschriften entsprechen, behandeln die EFTA-Staaten neue und bestehende Investitionen von Unternehmen oder Staatsangehörigen der EG-Mitgliedstaaten oder anderer EFTA-Länder während der Übergangszeit nicht weniger günstig als aufgrund der zum Zeitpunkt der Unterzeichnung des Abkommens bestehenden Rechtsvorschriften;
…”
Richtlinie 88/361
Rz. 6
Nach Art. 1 Abs. 1 der Richtlinie 88/361 wird der Kapitalverkehr entsprechend der Nomenklatur in ihrem Anhang I gegliedert.
Rz. 7
Aus diesem Anhang ergibt sich, dass der Begriff des Kapitalverkehrs u. a. Geschäfte erfasst, mit denen Gebietsfremde im Gebiet eines Mitgliedstaats Immobilieninvestitionen tätigen.
Rz. 8
Art. 6 Abs. 4 der Richtlinie bestimmt:
„Bestehende einzelstaatliche Rechtsvorschriften zur Regelung des Erwerbs von Zweitwohnsitzen dürfen aufrechterhalten werden, bis der Rat [der Europäischen Union] weitere diesbezügliche Vorschriften gemäß Artikel 69 des [EWG-]Vertrages [später Art. 67 Abs. 1 EG, aufgehoben durch den Vertrag von Amsterdam] erlässt. Die vorliegende Vorschrift berührt nicht die Anwendbarkeit anderer Bestimmungen des Gemeinschaftsrechts.”
Nationales Recht
Rz. 9
Das Grundverkehrsgesetz des Landes Vorarlberg (LGBl. 42/2004) in der Fassung des LGBl. 19/2009 (im Folgenden: GVG) sieht in § 2 Abs. 7 vor:
„Als Erwerb zu Ferienzwecken gilt der Erwerb zum Zwecke der Errichtung oder Nutzung vo...