Entscheidungsstichwort (Thema)
Vorlage zur Vorabentscheidung. Rechtsstaatlichkeit. Unabhängigkeit der Justiz. Verfahren für die Zusammenarbeit und die Überprüfung. Im Einvernehmen mit Rumänien ergangene Vorgaben. Korruptionsbekämpfung. Ermittlung von Straftaten innerhalb der Justiz. Klage gegen die Ernennung von Staatsanwälten, die für die Durchführung solcher Ermittlungen zuständig sind. Klagebefugnis der Berufsverbände von Richtern und von Staatsanwälten
Normenkette
EUV Art. 19 Abs. 1
Beteiligte
Asociaţia “Forumul Judecătorilor din România” (Associations de magistrats) |
Asociaţia „Forumul Judecătorilor din România“ |
Asociaţia „Mişcarea pentru Apărarea Statutului Procurorilor“ |
Parchetul de pe lângă Înalta Curte de Casaţie şi Justiţie – Procurorul General al României |
Tenor
Art. 2 und Art. 19 Abs. 1 EUV in Verbindung mit den Art. 12 und 47 der Charta der Grundrechte der Europäischen Union sind dahin auszulegen, dass sie einer nationalen Regelung nicht entgegenstehen, die es, indem sie die Zulässigkeit einer Nichtigkeitsklage gegen die Ernennung von Staatsanwälten, die für die Strafverfolgung von Richtern und Staatsanwälten zuständig sind, vom Vorliegen eines berechtigten privaten Interesses abhängig macht, in der Praxis ausschließt, dass eine solche Klage von Berufsverbänden von Richtern bzw. Staatsanwälten erhoben werden kann, um den Grundsatz der richterlichen Unabhängigkeit zu verteidigen.
Tatbestand
In der Rechtssache C-53/23
betreffend ein Vorabentscheidungsersuchen nach Art. 267 AEUV, eingereicht von der Curtea de Apel Piteşti (Berufungsgericht Piteşti, Rumänien) mit Entscheidung vom 31. Januar 2023, beim Gerichtshof eingegangen am 2. Februar 2023, in dem Verfahren
Asociaţia „Forumul Judecătorilor din România“,
Asociaţia „Mişcarea pentru Apărarea Statutului Procurorilor“
gegen
Parchetul de pe lângă Înalta Curte de Casaţie şi Justiţie – Procurorul General al României
erlässt
DER GERICHTSHOF (Erste Kammer)
unter Mitwirkung des Kammerpräsidenten A. Arabadjiev, des Vizepräsidenten des Gerichtshofs L. Bay Larsen (Berichterstatter), der Richter T. von Danwitz und A. Kumin sowie der Richterin I. Ziemele,
Generalanwalt: A. M. Collins,
Kanzler: A. Calot Escobar,
aufgrund des schriftlichen Verfahrens,
unter Berücksichtigung der Erklärungen
- – der Asociaţia „Forumul Judecătorilor din România“, vertreten durch D. Călin und L. Zaharia,
- – des Parchetul de pe lângă Înalta Curte de Casaţie şi Justiţie – Procurorul General al României, vertreten durch A.-F. Florenţa als Bevollmächtigten,
- – der rumänischen Regierung, vertreten durch L.-E. Baţagoi, E. Gane und L. Ghiţă als Bevollmächtigte,
- – der Europäischen Kommission, vertreten durch K. Herrmann, I. V. Rogalski und P. J. O. Van Nuffel als Bevollmächtigte,
nach Anhörung der Schlussanträge des Generalanwalts in der Sitzung vom 1. Februar 2024
folgendes
Urteil
Entscheidungsgründe
Rz. 1
Das Vorabentscheidungsersuchen betrifft die Auslegung von Art. 2, Art. 4 Abs. 3 und Art. 19 Abs. 1 EUV, der Art. 12 und 47 der Charta der Grundrechte der Europäischen Union (im Folgenden: Charta), des Anhangs IX der am 1. Januar 2007 in Kraft getretenen Akte über die Bedingungen des Beitritts der Republik Bulgarien und Rumäniens und die Anpassungen der Verträge, auf denen die Europäische Union beruht (ABl. 2005, L 157, S. 203), sowie der Entscheidung 2006/928/EG der Kommission vom 13. Dezember 2006 zur Einrichtung eines Verfahrens für die Zusammenarbeit und die Überprüfung der Fortschritte Rumäniens bei der Erfüllung bestimmter Vorgaben in den Bereichen Justizreform und Korruptionsbekämpfung (ABl. 2006, L 354, S. 56).
Rz. 2
Es ergeht im Rahmen eines Rechtsstreits zwischen der Asociaţia „Forumul Judecătorilor din România“ und der Asociaţia „Mişcarea pentru Apărarea Statutului Procurorilor“ auf der einen Seite und dem Parchetul de pe lângă Înalta Curte de Casaţie şi Justiţie – Procurorul General al României (Staatsanwaltschaft beim Obersten Kassations- und Gerichtshof – Generalstaatsanwalt von Rumänien) (im Folgenden: Generalstaatsanwalt) auf der anderen Seite über die Rechtmäßigkeit einer Verfügung zur Ernennung mehrerer Staatsanwälte beim Parchetul de pe lângă Înalta Curte de Casaţie şi Justiţie (Staatsanwaltschaft beim Obersten Kassations- und Gerichtshof, Rumänien; im Folgenden: PÎCCJ).
Rechtlicher Rahmen
Rz. 3
Art. 8 Abs. 1a der Legea contenciosului administrativ nr. 554/2004 (Gesetz Nr. 554/2004 über das verwaltungsgerichtliche Verfahren) (Monitorul Oficial al României, Teil I, Nr. 1154 vom 7. Dezember 2004) bestimmt:
„Natürliche Personen und juristische Personen des Privatrechts können Ansprüche zur Wahrung eines berechtigten öffentlichen Interesses nur ergänzend geltend machen, soweit sich die Beeinträchtigung des berechtigten öffentlichen Interesses logisch aus der Verletzung eines subjektiven Rechts oder eines berechtigten privaten Interesses ergibt.“
Ausgangsrechtsstreit und Vorlagefragen
Rz. 4
Am 5. August 2022 erhoben die Klägerinnen des Ausgangsverfahrens in ihrer Eigenschaft als ...