Entscheidungsstichwort (Thema)
Vorlage zur Vorabentscheidung. Luftverkehr. Ausgleichsleistung für Fluggäste bei Annullierung eines Fluges. Befreiung von der Ausgleichspflicht. Begriff ,außergewöhnliche Umstände‘. Unerwartete Abwesenheit eines für die Durchführung des Fluges unverzichtbaren Besatzungsmitglieds aufgrund von Krankheit oder Tod
Normenkette
Verordnung (EG) Nr. 261/2004 Art. 5 Abs. 3
Beteiligte
TAP Portugal (Décès du copilote) |
Tenor
Art. 5 Abs. 3 der Verordnung (EG) Nr. 261/2004 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 11. Februar 2004 über eine gemeinsame Regelung für Ausgleichs- und Unterstützungsleistungen für Fluggäste im Fall der Nichtbeförderung und bei Annullierung oder großer Verspätung von Flügen und zur Aufhebung der Verordnung (EWG) Nr. 295/91
ist dahin auszulegen, dass
die unerwartete Abwesenheit eines für die Durchführung eines Fluges unverzichtbaren Besatzungsmitglieds aufgrund von Krankheit oder Tod, die kurz vor dem planmäßigen Abflug eintritt, nicht unter den Begriff „außergewöhnliche Umstände“ im Sinne dieser Vorschrift fällt.
Tatbestand
In den verbundenen Rechtssachen C-156/22 bis C-158/22
betreffend drei Vorabentscheidungsersuchen nach Art. 267 AEUV, eingereicht vom Landgericht Stuttgart (Deutschland) mit Entscheidungen vom 3. Februar 2022, beim Gerichtshof eingegangen am 17. Februar 2022, in den Verfahren
TAP Portugal
gegen
flightright GmbH(C-156/22),
Myflyright GmbH(C-157/22 und C-158/22)
erlässt
DER GERICHTSHOF (Dritte Kammer)
unter Mitwirkung der Kammerpräsidentin K. Jürimäe sowie der Richter M. Safjan (Berichterstatter), N. Piçarra, N. Jääskinen und M. Gavalec,
Generalanwältin: L. Medina,
Kanzler: A. Calot Escobar,
aufgrund des schriftlichen Verfahrens,
unter Berücksichtigung der Erklärungen
- – von TAP Portugal, vertreten durch Rechtsanwältinnen K. Brecke und B. Liebert sowie Rechtsanwalt U. Steppler,
- – der flightright GmbH, vertreten durch Rechtsanwälte M. Michel und R. Weist,
- – der polnischen Regierung, vertreten durch B. Majczyna als Bevollmächtigten,
- – der portugiesischen Regierung, vertreten durch P. Barros da Costa, C. Chambel Alves, L. Guerreiro und P. Pisco Santos als Bevollmächtigte,
- – der Europäischen Kommission, vertreten durch G. Braun, G. Wilms und N. Yerrell als Bevollmächtigte,
nach Anhörung der Schlussanträge der Generalanwältin in der Sitzung vom 9. Februar 2023,
folgendes
Urteil
Entscheidungsgründe
Rz. 1
Die Vorabentscheidungsersuchen betreffen die Auslegung von Art. 5 Abs. 3 der Verordnung (EG) Nr. 261/2004 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 11. Februar 2004 über eine gemeinsame Regelung für Ausgleichs- und Unterstützungsleistungen für Fluggäste im Fall der Nichtbeförderung und bei Annullierung oder großer Verspätung von Flügen und zur Aufhebung der Verordnung (EWG) Nr. 295/91 (ABl. 2004, L 46, S. 1).
Rz. 2
Sie ergehen im Rahmen von Rechtsstreitigkeiten zwischen der TAP Portugal (im Folgenden: TAP) einerseits und der flightright GmbH (Rechtssache C-156/22) sowie der Myflyright GmbH (Rechtssachen C-157/22 und C-158/22) andererseits über Ausgleichsansprüche der Fluggäste nach der Verordnung Nr. 261/2004, nachdem ein Flug annulliert wurde, weil kurz vor dem planmäßigen Abflug unerwartet der Kopilot des Flugzeugs verstorben war.
Rechtlicher Rahmen
Rz. 3
In den Erwägungsgründen 1, 14 und 15 der Verordnung Nr. 261/2004 heißt es:
„(1) Die Maßnahmen der [Europäischen] Gemeinschaft im Bereich des Luftverkehrs sollten unter anderem darauf abzielen, ein hohes Schutzniveau für Fluggäste sicherzustellen. Ferner sollte den Erfordernissen des Verbraucherschutzes im Allgemeinen in vollem Umfang Rechnung getragen werden.
…
(14) … [D]ie Verpflichtungen für ausführende Luftfahrtunternehmen [sollten] in den Fällen beschränkt oder ausgeschlossen sein, in denen ein Vorkommnis auf außergewöhnliche Umstände zurückgeht, die sich auch dann nicht hätten vermeiden lassen, wenn alle zumutbaren Maßnahmen ergriffen worden wären. Solche Umstände können insbesondere bei politischer Instabilität, mit der Durchführung des betreffenden Fluges nicht zu vereinbarenden Wetterbedingungen, Sicherheitsrisiken, unerwarteten Flugsicherheitsmängeln und den Betrieb eines ausführenden Luftfahrtunternehmens beeinträchtigenden Streiks eintreten.
(15) Vom Vorliegen außergewöhnlicher Umstände sollte ausgegangen werden, wenn eine Entscheidung des Flugverkehrsmanagements zu einem einzelnen Flugzeug an einem bestimmten Tag zur Folge hat, dass es bei einem oder mehreren Flügen des betreffenden Flugzeugs zu einer großen Verspätung, einer Verspätung bis zum nächsten Tag oder zu einer Annullierung kommt, obgleich vom betreffenden Luftfahrtunternehmen alle zumutbaren Maßnahmen ergriffen wurden, um die Verspätungen oder Annullierungen zu verhindern.“
Rz. 4
Art. 5 („Annullierung“) der Verordnung bestimmt:
„(1) Bei Annullierung eines Fluges [wird] den betroffenen Fluggästen
…
c) vom ausführenden Luftfahrtunternehmen ein Anspruch ...