Entscheidungsstichwort (Thema)
Kraftfahrzeuge. Haftpflichtversicherung. Zahlungsunfähigkeit des Versicherers. Fehlendes Eintreten der Entschädigungsstelle
Normenkette
Richtlinie 72/166/EWG Art. 3 Abs. 1; Richtlinie 84/5/EWG Art. 1 Abs. 4 Unterabs. 1
Beteiligte
Tenor
Art. 3 Abs. 1 der Richtlinie 72/166/EWG des Rates vom 24. April 1972 betreffend die Angleichung der Rechtsvorschriften der Mitgliedstaaten bezüglich der Kraftfahrzeug-Haftpflichtversicherung und der Kontrolle der entsprechenden Versicherungspflicht in der durch die Richtlinie 2005/14/EG des Europäischen Parlaments und des Rates vom 11. Mai 2005 geänderten Fassung in Verbindung mit Art. 1 Abs. 4 der Richtlinie 84/5/EWG des Rates vom 30. Dezember 1983 betreffend die Angleichung der Rechtsvorschriften der Mitgliedstaaten bezüglich der Kraftfahrzeug-Haftpflichtversicherung in der durch die Richtlinie 2005/14 geänderten Fassung ist dahin auszulegen, dass zu den Pflichten, die den Mitgliedstaaten durch diese Bestimmung auferlegt werden, nicht die Pflicht gehört, eine Stelle einzurichten, die eine Entschädigung der Opfer von Verkehrsunfällen in Fällen sicherstellt, in denen die für die Schäden verantwortlichen Personen eine Kraftfahrzeug-Haftpflichtversicherung abgeschlossen hatten, der Versicherer aber zahlungsunfähig geworden ist.
Tatbestand
In der Rechtssache
betreffend ein Vorabentscheidungsersuchen nach Art. 267 AEUV, eingereicht vom Fővárosi Bíróság (Ungarn) mit Entscheidung vom 12. Juli 2011, beim Gerichtshof eingegangen am 1. August 2011, in dem Verfahren
Gábor Csonka,
Tibor Isztli,
Dávid Juhász,
János Kiss,
Csaba Szontágh
gegen
Magyar Állam
erlässt
DER GERICHTSHOF (Erste Kammer)
unter Mitwirkung des Kammerpräsidenten A. Tizzano sowie der Richter E. Levits, J.-J. Kasel, M. Safjan und der Richterin M. Berger (Berichterstatterin),
Generalanwalt: P. Mengozzi,
Kanzler: C. Strömholm, Verwaltungsrätin,
aufgrund des schriftlichen Verfahrens und auf die mündliche Verhandlung vom 26. September 2012,
unter Berücksichtigung der Erklärungen
- der ungarischen Regierung, vertreten durch Z. Fehér, K. Veres und K. Szíjjártó als Bevollmächtigte,
- der Europäischen Kommission, vertreten durch B. Simon, K.-P. Wojcik und K. Talabér-Ritz als Bevollmächtigte,
nach Anhörung der Schlussanträge des Generalanwalts in der Sitzung vom 24. Oktober 2012
folgendes
Urteil
Entscheidungsgründe
Rz. 1
Das Vorabentscheidungsersuchen betrifft die Auslegung von Art. 3 Abs. 1 der Richtlinie 72/166/EWG des Rates vom 24. April 1972 betreffend die Angleichung der Rechtsvorschriften der Mitgliedstaaten bezüglich der Kraftfahrzeug-Haftpflichtversicherung und der Kontrolle der entsprechenden Versicherungspflicht (ABl. L 103, S. 1) in der durch die Richtlinie 2005/14/EG des Europäischen Parlaments und des Rates vom 11. Mai 2005 (ABl. L 149, S. 14) geänderten Fassung (im Folgenden: Erste Richtlinie).
Rz. 2
Dieses Ersuchen ergeht im Rahmen eines Rechtsstreits zwischen den Herren Csonka, Isztli, Juhász, Kiss und Szontágh einerseits und dem Magyar Állam (Ungarischen Staat) andererseits über die Haftung, die dieser nach Ansicht der Kläger wegen der fehlerhaften Umsetzung der genannten Richtlinie in das ungarische Recht zu übernehmen hat.
Rechtlicher Rahmen
Unionsrecht
Rz. 3
Die Unionsregelung im Bereich der Kraftfahrzeug-Haftpflichtversicherung wurde durch die Richtlinie 2009/103/EG des Europäischen Parlaments und des Rates vom 16. September 2009 über die Kraftfahrzeug-Haftpflichtversicherung und die Kontrolle der entsprechenden Versicherungspflicht (ABl. L 263, S. 11) kodifiziert. Diese Richtlinie war jedoch in dem für den vorliegenden Fall maßgeblichen Zeitraum noch nicht in Kraft. Auf den vorliegenden Fall sind darum die vor der Kodifizierung geltenden Richtlinien anzuwenden, nämlich die Erste Richtlinie und die Zweite Richtlinie 84/5/EWG des Rates vom 30. Dezember 1983 betreffend die Angleichung der Rechtsvorschriften der Mitgliedstaaten bezüglich der Kraftfahrzeug-Haftpflichtversicherung (ABl. 1984, L 8, S. 17) in der durch die Richtlinie 2005/14 geänderten Fassung (im Folgenden: Zweite Richtlinie).
Erste Richtlinie
Rz. 4
Wie aus ihren Erwägungsgründen 2 und 3 hervorgeht, wurde die Erste Richtlinie unter Erwägung des Umstands erlassen, dass die Grenzkontrollen der Kraftfahrzeug-Haftpflichtversicherung, die die Interessen der möglicherweise bei einem von diesen Fahrzeugen verursachten Unfall Geschädigten wahren sollten, eine Folge der Unterschiede in den einzelstaatlichen Vorschriften auf diesem Gebiet waren und dass „[d]iese Unterschiede … geeignet [waren], den freien Verkehr von Kraftfahrzeugen und Personen innerhalb der Gemeinschaft zu behindern”, und sich daher „unmittelbar auf die Errichtung und das Funktionieren des Gemeinsamen Marktes” auswirkten. Im fünften Erwägungsgrund dieser Richtlinie wird die Notwendigkeit betont, dass „Maßnahmen zur weiteren Liberalisierung der Regeln für den Personen- und Kraftfahrzeugverkehr im Reiseverk...