Entscheidungsstichwort (Thema)
Vorlage zur Vorabentscheidung. Luftverkehr. Ausgleichszahlungen an die Fluggäste bei großer Verspätung oder Annullierung eines Fluges. Befreiung von der Ausgleichspflicht. Außergewöhnliche Umstände. Technische Störungen, die durch einen vom Hersteller nach der Flugannullierung aufgedeckten versteckten Konstruktionsfehler verursacht wurden. System zur Messung der Treibstoffmenge des Flugzeugs
Normenkette
Verordnung (EG) Nr. 261/2004 Art. 5 Abs. 3
Beteiligte
Tenor
Art. 5 Abs. 3 der Verordnung (EG) Nr. 261/2004 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 11. Februar 2004 über eine gemeinsame Regelung für Ausgleichs- und Unterstützungsleistungen für Fluggäste im Fall der Nichtbeförderung und bei Annullierung oder großer Verspätung von Flügen und zur Aufhebung der Verordnung (EWG) Nr. 295/91
ist dahin auszulegen, dass
das Auftreten einer unerwarteten und neuartigen technischen Störung, die ein neues, vor Kurzem in Betrieb genommenes Flugzeugmodell betrifft und das Luftfahrtunternehmen zur Annullierung eines Fluges veranlasst, unter den Begriff „außergewöhnliche Umstände“ im Sinne dieser Bestimmung fällt, wenn der Hersteller dieses Flugzeugs nach der Annullierung anerkennt, dass diese Störung durch einen versteckten Konstruktionsfehler verursacht wurde, der sämtliche Flugzeuge dieses Typs betraf und die Flugsicherheit beeinträchtigte.
Tatbestand
In der Rechtssache C-385/23
betreffend ein Vorabentscheidungsersuchen nach Art. 267 AEUV, eingereicht vom Korkein oikeus (Oberstes Gericht, Finnland) mit Entscheidung vom 22. Juni 2023, beim Gerichtshof eingegangen am 22. Juni 2023, in dem Verfahren
Matkustaja A
gegen
Finnair Oyj
erlässt
DER GERICHTSHOF (Achte Kammer)
unter Mitwirkung des Kammerpräsidenten N. Piçarra sowie der Richter N. Jääskinen und M. Gavalec (Berichterstatter),
Generalanwältin: L. Medina,
Kanzler: A. Calot Escobar,
aufgrund des schriftlichen Verfahrens,
unter Berücksichtigung der Erklärungen
- – des Matkustaja A, vertreten durch K. Väänänen, Kuluttaja-asiamies, sowie J. Suurla, Johtava asiantuntija,
- – der Finnair Oyj, vertreten durch T. Väätäinen, Asianajaja,
- – der finnischen Regierung, vertreten durch M. Pere als Bevollmächtigte,
- – der niederländischen Regierung, vertreten durch M. K. Bulterman und J. M. Hoogveld als Bevollmächtigte,
- – der Europäischen Kommission, vertreten durch T. Simonen und N. Yerrell als Bevollmächtigte,
aufgrund des nach Anhörung der Generalanwältin ergangenen Beschlusses, ohne Schlussanträge über die Rechtssache zu entscheiden,
folgendes
Urteil
Entscheidungsgründe
Rz. 1
Das Vorabentscheidungsersuchen betrifft die Auslegung von Art. 5 Abs. 3 der Verordnung (EG) Nr. 261/2004 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 11. Februar 2004 über eine gemeinsame Regelung für Ausgleichs- und Unterstützungsleistungen für Fluggäste im Fall der Nichtbeförderung und bei Annullierung oder großer Verspätung von Flügen und zur Aufhebung der Verordnung (EWG) Nr. 295/91 (ABl. 2004, L 46, S. 1).
Rz. 2
Es ergeht im Rahmen eines Rechtsstreits zwischen Matkustaja A (im Folgenden A), einem Fluggast, und dem Luftfahrtunternehmen Finnair Oyj wegen dessen Weigerung, diesem Fluggast, dessen Flug annulliert wurde, einen Ausgleich zu leisten.
Rechtlicher Rahmen
Rz. 3
In den Erwägungsgründen 1, 14 und 15 der Verordnung Nr. 261/2004 heißt es:
„(1) Die Maßnahmen der [Europäischen] Gemeinschaft im Bereich des Luftverkehrs sollten unter anderem darauf abzielen, ein hohes Schutzniveau für Fluggäste sicherzustellen. Ferner sollte den Erfordernissen des Verbraucherschutzes im Allgemeinen in vollem Umfang Rechnung getragen werden.
…
(14) Wie nach dem Übereinkommen [zur Vereinheitlichung bestimmter Vorschriften über die Beförderung im internationalen Luftverkehr, geschlossen am 28. Mai 1999 in Montreal und genehmigt im Namen der Europäischen Gemeinschaft durch den Beschluss 2001/539/EG des Rates vom 5. April 2001 (ABl. 2001, L 194, S. 38)] sollten die Verpflichtungen für ausführende Luftfahrtunternehmen in den Fällen beschränkt oder ausgeschlossen sein, in denen ein Vorkommnis auf außergewöhnliche Umstände zurückgeht, die sich auch dann nicht hätten vermeiden lassen, wenn alle zumutbaren Maßnahmen ergriffen worden wären. Solche Umstände können insbesondere bei politischer Instabilität, mit der Durchführung des betreffenden Fluges nicht zu vereinbarenden Wetterbedingungen, Sicherheitsrisiken, unerwarteten Flugsicherheitsmängeln und den Betrieb eines ausführenden Luftfahrtunternehmens beeinträchtigenden Streiks eintreten.
(15) Vom Vorliegen außergewöhnlicher Umstände sollte ausgegangen werden, wenn eine Entscheidung des Flugverkehrsmanagements zu einem einzelnen Flugzeug an einem bestimmten Tag zur Folge hat, dass es bei einem oder mehreren Flügen des betreffenden Flugzeugs zu einer großen Verspätung, einer Verspätung bis zum nächsten Tag oder zu einer Annullierung kommt, obgleich vom betreffenden Luftfahrtunternehmen alle zumu...