Leitsatz
Das Europäische Haftbefehlsgesetz greift unverhältnismäßig in die Auslieferungsfreiheit ein, weil der Gesetzgeber die ihm durch den Rahmenbeschluss zum Europäischen Haftbefehl eröffneten Spielräume nicht für eine möglichst grundrechtsschonende Umsetzung europarechtlicher Vorgaben in nationales Recht ausgeschöpft hat. Überdies verstoßen die Bestimmungen wegen fehlender Anfechtungsmöglichkeiten gegen die Rechtsweggarantie des Grundgesetzes.
Sachverhalt
Der Beschwerdeführer besitzt die deutsche und die syrische Staatsangehörigkeit. Er soll zur Strafverfolgung nach Spanien ausgeliefert werden und befindet sich seit dem 15.10.2004 aufgrund eines "Europäischen Haftbefehls" der spanischen Behörden in Auslieferungshaft. Das BVerfG erklärte die Auslieferung für unzulässig, weil die hierfür geschaffene gesetzliche Grundlage verfassungswidrig ist.
Entscheidung
Ein deutscher Staatsangehöriger darf nach Art. 16 Abs. 2 GG grundsätzlich nicht an einen anderen Staat ausgeliefert werden. Diesen Schutz deutscher Staatsangehöriger vor Auslieferung darf der Gesetzgeber aber nach Art. 16 Abs. 2 Satz 2 GG unter bestimmten Voraussetzungen durch Gesetz einschränken. Hierbei kann er auch den europäischen Gedanken und dabei vor allem den Wunsch nach enger Zusammenarbeit mit anderen Ländern im Bereich der Justiz berücksichtigen. Die Einschränkung des Grundrechts auf Auslieferungsfreiheit muss aber verhältnismäßig sein. Hier bestehen erhebliche Probleme. So fehlt eine gesetzlich verankerte Möglichkeit, bei einer in Deutschland begangenen Tat ohne Auslandsbezug eine Auslieferung aufgrund eines fremdstaatlichen Haftbefehls prinzipiell zu verweigern. Gleiches gilt für die Ablehnung der Auslieferung wegen eines in gleicher Sache im Inland laufenden strafrechtlichen Verfahrens oder in Fällen, in denen ein inländisches Verfahren eingestellt oder schon dessen Einleitung abgelehnt worden ist.
Überdies verstößt die fehlende Anfechtbarkeit der allein durch die Exekutive zu treffenden Bewilligungsentscheidung gegen die Rechtsweggarantie des Art. 19 Abs. 4 GG. Die zuständige Behörde kann die Auslieferung auf der Basis der EuHBG im Einzelfall mit Ermessenerwägungen ablehnen und dabei beispielsweise außen- und allgemeinpolitische Aspekte berücksichtigen. Die so zu treffende Abwägungsentscheidung dient aber dem Schutz der Grundrechte des Verfolgten und darf daher einer umfassenden richterlichen Prüfung nicht entzogen werden.
Praxishinweis
Nach der Entscheidung des BVerfG dürfen deutsche Staatsbürger in keinem Fall an einen anderen Staat überstellt werden. Allerdings hat das BMJ bereits kurz nach der Urteilsverkündung ein neues EuHBG angekündigt, in dem den Bedenken der Verfassungsrichter Rechnung getragen wird und das binnen weniger Wochen in Kraft treten soll.
Link zur Entscheidung
BVerfG-Urteil vom 18.7.2005, 2 BvR 2236/04