I. Die Familie als Wertbegriff
Das Wort "Familie" löst in unserer Zeit sehr unterschiedliche Vorstellungen aus. Die Typologie reicht von der Kleinstfamilie mit einer Elternperson und einem Kind über die heutige Normalfamilie (zwei Eltern, ein Kind) bis hin zur Patchworkfamilie und schließlich zur Reproduktionsfamilie mit der Möglichkeit einer Splittung der genetischen, biologischen, rechtlichen und sozialen Elternschaft.
"Familie" ist variabel, gleichwohl als Begriff in aller Regel positiv eingeordnet: anheimelnd, idyllisch, wertvoll. Hier unterscheidet sie sich von der Ehe, deren Sinn immer wieder in Zweifel gezogen worden ist. Schon in Goethes Jugendzeit, die wir "Sturm und Drang" nennen, war die Ehe von Verachtung bedroht. Goethe heiratete auch lange nicht, und als er dies schließlich tat, traf ihn der Tadel vieler Zeitgenossen. Auch in unserer Zeit sehen viele die Ehe in der Krise: Sinkende Heiratszahlen, steigende Scheidungsraten, Konkurrenz durch andere Lebensformen. Erst die Einführung der "Ehe für alle" hat dem Ansehen dieses Instituts wieder ein Schub nach oben gegeben, mit einiger Übertreibung ließe sich sagen, im Sommer 2017 hat Angela Merkel mit einem Brigitte-Interview die Ehe bei uns gerettet.
Die Wertschätzung der Familie ist jedenfalls nachhaltiger als die der Ehe. "Familia" ist schon ein Grundbegriff der antik-römischen Kultur und hatte dort ähnliche Bedeutungen wie unsere Familie heute: als Bezeichnung der zusammenlebenden Hausgemeinschaft ("pater familias", "mater familias" etc.), dann auch der gesamten Verwandtschaft, schließlich im übertragenen Sinn, etwa – bei Tacitus – als das Gefolge einer Herrschaft.
In die deutsche Sprache drang das Wort "Familie" erst recht spät, etwa seit dem 17. Jahrhundert ein – Martin Luther sprach noch von "Haus und Hof". Im Verlauf des 18. Jahrhunderts bildete sich dann auch der Terminus "Familienrecht" als Begriff für einen zusammengehörigen Normenkomplex. Und so versteht ihn noch das BGB von 1900, dessen viertes Buch bekanntlich mit "Familienrecht" überschrieben ist.
Das 19. Jahrhundert brachte eine erstaunliche Aufwertung der "Familie" in der öffentlichen Meinung. Die Familie, schon in der Antike Gegenstand der Staatstheorie, wurde sozusagen heiliggesprochen. Sie wurde begrifflich verinnerlicht. Das Hauspersonal (Gesinde), das bisher als Teil der Familie galt, wurde nicht mehr mitgezählt. Zugleich avancierte die Familie zum Grundpfeiler der bürgerlichen Gesellschaft, zur "Grundlage … alles menschlichen und bürgerlichen Glücks". Sie wurde als autonomer Bereich verstanden und so zum Gegenspieler des Staates, der nur beschränkt Zugriff auf die Familie haben sollte. Freilich war noch diejenige Familie gemeint, in welcher der Mann als Oberhaupt schaltete und waltete.
Diese Idealisierung der Familie stieß auf politischen Widerstand, vor allem in sozialistischen und feministischen Theorien. Daraufhin setzte der Staat zum Schutz der Familie zunächst das Strafrecht ein. "Gefängnisstrafe bis zu einem Jahre hat zu gewarten, wer durch öffentliche Mitteilung … die Rechtsinstitute der Ehe, der Familie oder des Eigentums … herabwürdigt" – so das sächsische Strafgesetzbuch von 1855. Das war das Vorspiel zu dem Schutz, den später die Verfassungen des 20. Jahrhunderts und die Europäische Menschenrechtskonvention der Familie mit sehr viel weiter gespannter Zielrichtung angedeihen ließen.
Nicht zuletzt gestützt auf die grundrechtliche Verbürgung erweist sich die Wertschätzung der Familie als nachhaltig, selbst wenn in der politischen Literatur auch heute noch die Träume von einer "familienlosen Gesellschaft" lebendig sind.