Einführung
Die Entscheidung zum Versorgungsausgleich (Wertausgleich bei der Scheidung; im Folgenden: VA) kann sich vorübergehend für beide Ehegatten sehr ungünstig auswirken, wenn nämlich der insgesamt ausgleichspflichtige Ehegatte vor dem anderen eine Versorgung wegen Alters oder Invalidität bezieht, diesem aber zugleich noch unterhaltspflichtig ist. Er kann dann in aller Regel nur noch weniger oder sogar gar keinen Unterhalt mehr zahlen, während der andere Ehegatte vom Versorgungsausgleich noch nichts hat. Besonders ungünstig sind Konstellationen mit einem deutlich älteren oder vorzeitig invaliden ausgleichspflichtigen Ehegatten. Der Gesetzgeber sieht dies als Härtefall an und regelt in den §§ 33 f. VersAusglG einen Anspruch, die Kürzung von Anrechten der ausgleichspflichtigen Person (teilweise) auszusetzen. Dadurch erhöht sich das Renteneinkommen der ausgleichspflichtigen Person wieder und mittelbar auch der Unterhaltsanspruch der ausgleichsberechtigten Person. Im geltenden Recht wurden früher existierende großzügigere Regelungen eingekürzt; bei der Neukonzeption lag die Idee zugrunde, einen Missbrauch der Härtefallregelung zu verhindern. Das führt aber teilweise zu Anwendungsproblemen, die der folgende Überblick behandelt. Dabei sollen insbesondere die Konsequenzen für Vereinbarungen aufgezeigt werden.
I. Beispielsfälle
Beispielsfall 1: M und F sind noch nach dem alten Recht geschieden worden. Ihre Ehezeit hat vom 1.11.1981 bis zum 31.1.2001 gedauert. Der seinerzeit durchgeführte VA ist durch Totalrevision gem. § 51 VersAusglG mit Wirkung zum 1.4.2019 abgeändert worden.
M hatte danach folgendes Anrecht:
Anrechtsart |
Ehezeitanteil |
Ausgleichswert |
Beamtenversorgung |
Mtl. 1.764,38 DM |
882,19 DM |
Die F hat ein gesetzliches Anrecht:
Anrechtsart |
Ehezeitanteil |
Ausgleichswert |
GRV: |
10,5372 EP |
5,2686 EP |
Das Beamtenanrecht des M ist für F extern in die gesetzliche Rentenversicherung geteilt worden (§ 16 VersAusglG), und zwar mit einem Betrag von 882,19 DM; bezogen auf den 31.1.2001. F hat ein Anrecht in der gesetzlichen Rentenversicherung; sie hat durch interne Teilung 5,2686 Entgeltpunkte in der allgemeinen Rentenversicherung an M abgegeben. M schuldet der F Unterhalt. Das waren zunächst monatlich 795 EUR. Seit April 2018 ist der Betrag durch Vereinbarung auf 600 EUR monatlich abgesenkt worden. Im August 2019 geht M vorzeitig in den Ruhestand. Die Kürzung seiner Pension durch den VA beträgt zunächst 630 EUR, seit Januar 2020 monatlich 649 EUR. Im Dezember 2019 erreicht M die Altersgrenze für das übertragene Anrecht in der gesetzlichen Rentenversicherung und bezieht hieraus monatlich 174 EUR. Die F arbeitet noch und erhält bereinigt 1.202,48 EUR. M beantragt die Aussetzung der Kürzung durch den VA. Das Familiengericht stellt fest, dass die Beamtenversorgung des M ungekürzt bei brutto 3.402,11 EUR, netto bei 2.355,89 EUR liegt. Der rechnerische Unterhaltsanspruch der F betrage (2.355,89 – 1.202,48 EUR)/2 = 576,71 EUR. Weil die Differenz der beiderseitigen Ausgleichswerte zum Ehezeitende (1/2001) aber nur 320 EUR betragen habe, beschränkt das Familiengericht die Aussetzung der Kürzung auf 320 EUR. Richtig?
Beispielsfall 2: Die Ehezeit von M und F hat vom 1.9.1973 bis zum 31.3.2016 gedauert. M hat folgende Anrechte:
Anrechtsart |
Ehezeitanteil |
Ausgleichswert |
Berufsständische Versorgung |
Mtl. 2.919,65 EUR |
1.459,83 EUR |
GRV: |
5,7944 EP |
2,8972 EP |
Zusatzversorgung: |
360,37 VP |
180,19 VP |
Bei F besteht nur ein Anrecht:
GRV: |
10,9137 EP |
5,4569 EP |
M befindet sich bereits im Ruhestand. Die F bezieht Leistungen der Pflegeversicherung. Im Scheidungsverbund wird der Unterhaltsanspruch der F wegen Krankheit durch Vergleich auf monatlich 1.400 EUR festgesetzt. M stellt schon im Scheidungsverbund den Antrag auf Aussetzung der Kürzung durch den VA. Das Familiengericht setzt die Kürzung in der berufsständischen Versorgung in voller Höhe von 1.459,83 EUR aus. Das findet der Versorgungsträger zu hoch. Ist die Entscheidung richtig?
II. Anspruchsvoraussetzungen
1. Rechtskräftige Entscheidung zum VA
Der Anspruch setzt einen durchgeführten, also rechtskräftigen VA voraus. Das ergibt sich nicht unmittelbar aus dem Wortlaut des § 33 VersAusglG. Die Versorgung der ausgleichspflichtigen Person wird jedoch erst ab Rechtskraft des VA gekürzt; vorher besteht also kein Bedarf, die Kürzung auszus...