Die Zuweisung der elterlichen Sorge zum Zeitpunkt der Geburt des Kindes erfolgt in den meisten Fällen kraft Gesetzes: Für die Mutter eines nichtehelich geborenen Kindes ergibt sich dies aus § 1626a Abs. 2 BGB, für miteinander verheiratete Eltern im Umkehrschluss aus § 1626a Abs. 1 BGB. Nach der Geburt kann die elterliche Sorge kraft Gesetzes nur durch Eheschließung der Eltern begründet werden, § 1626a Abs. 1 Nr. 2 BGB. Daneben besteht für nicht miteinander verheiratete Eltern die Möglichkeit, kraft übereinstimmender Erklärung die gemeinsame elterliche Sorge für das Kind gem. § 1626a Abs. 1 Nr. 1 BGB zu begründen, und zwar auch schon zum Zeitpunkt der Geburt, wenn die Anerkennung der Vaterschaft und die Abgabe der Sorgeerklärungen pränatal erfolgen (§ 1594 Abs. 4 BGB und § 1626b Abs. 2 BGB). Insoweit besteht durchaus eine Parallele zur Rechtslage miteinander verheirateter Eltern, die durch die Eheschließung zum Ausdruck bringen, dass sie gemeinsam die Elternverantwortung wahrnehmen wollen. Derzeit machen etwa 40-45 % der nicht miteinander verheirateten Eltern von der Möglichkeit des § 1626a Abs. 1 Nr. 1 BGB Gebrauch.
Die einmal wirksam begründete elterliche Sorge kann später nur durch gerichtliche Entscheidung eingeschränkt werden. Dies gilt sowohl für den Übergang von der gemeinsamen Sorge zur Alleinsorge eines Elternteils als auch für den Übergang von der Alleinsorge eines Elternteils zur Alleinsorge des anderen Elternteils. Darüber hinaus führt die erstmalige Gestaltung der Sorge durch richterliche Entscheidung dazu, dass auch jede weitere Änderung nur noch durch richterliche Entscheidung herbeigeführt werden kann, nicht hingegen durch übereinstimmende Erklärung der Eltern (so ausdrücklich § 1626b Abs. 3 BGB für die nicht miteinander verheirateten Eltern).
Im Hinblick auf die Sorge nicht miteinander verheirateter Eltern enthält diese Konzeption drei Regelungsdefizite. Das erste Defizit besteht darin, dass die Mutter ohne Rücksicht auf das Kindeswohl die elterliche Sorge des Vaters verhindern kann. Verschärft wird die Problematik durch das Zusammenspiel von § 1626a Abs. 1 Nr. 1 BGB und § 1672 Abs. 1 S. 1 BGB: Die "bessere" Position der Mutter in einem späteren Sorgerechtsstreit auf der Grundlage des § 1672 Abs. 1 BGB (Alleinsorge der Mutter) im Vergleich zu der nach § 1671 Abs. 2 BGB (gemeinsame Sorge beider Eltern) dürfte die Bereitschaft von Müttern, eine Sorgeerklärung abzugeben, deutlich senken, zumal entsprechende Hinweise im Schrifttum zwangsläufig auf die Beratungspraxis der Jugendämter und Notare durchschlagen. Dass aber die Interessen der Mutter keineswegs dem Kindeswohl entsprechen müssen, zeigt der folgende Sachverhalt, den das Familiengericht Potsdam vor einigen Jahren zu entscheiden hatte, nur allzu deutlich: Die Mutter verweigerte die Zustimmung zur Übertragung der Sorge auf den Vater, obwohl das gemeinsame Kind seit Jahren im Haushalt des Vaters lebte, weil sie verhindern wollte, nach Übertragung der elterlichen Sorge auf Zahlung von Kindesunterhalt in Anspruch genommen zu werden.
Das zweite Defizit liegt darin, dass die Voraussetzungen für die richterliche Entscheidung im Elternkonflikt nach § 1671 Abs. 2 BGB und § 1672 Abs. 1 BGB unterschiedlich ausgestaltet sind, insbesondere eine allein kindeswohlorientierte Entscheidung nach § 1672 Abs. 1 BGB nicht möglich ist – auch auf dieses Defizit hat der EGMR (wenngleich nur am Rande) hingewiesen.
Schließlich sieht das Gesetz – als drittes Defizit – unterschiedliche Kindeswohlmaßstäbe für die Übertragung der elterlichen Sorge nach Ausfall des sorgeberechtigten Elternteils in § 1678 Abs. 1 und 2 BGB sowie in § 1680 Abs. 2 S. 1 und Abs. 2 S. 2, Abs. 3 BGB (§ 1681 Abs. 1 BGB) vor, wenngleich diese Problematik durch die Entscheidung des BVerfG zur verfassungskonformen Auslegung des § 1680 Abs. 2 S. 2 BGB etwas entschärft wurde.
Besonders deutlich werden diese Defizite vor dem Hintergrund der beiden zentralen Aussagen des EGMR: Erstens benötigt der Gesetzgeber gem. Art. 14 EMRK für eine vom ehelichen Kindschaftsrecht abweichende Regelung sehr gewichtige Gründe, wobei dies sowohl für die Rechtsstellung des nichtehelich geborenen Kindes als auch für die des Vaters gilt. Zweitens weist der Gerichtshof darauf hin, dass im Elternkonflikt eine richterliche Entscheidung über die elterliche Sorge allein am Kindeswohl auszurichten ist. Allgemein ist zu beachten, dass der Gestaltungsspielraum der Vertragsstaaten umso enger ist, "je mehr sich ein europäischer Standard herausgebildet hat", weil die Konvention "als lebendiges Instrument im Lichte der heutigen Verhältnisse" auszulegen ist. Bei einer Reform wird sich der deutsche Gesetzgeber daher auch mit der europäischen Entwicklung, insbesondere mit den Regelungen in der Mehrzahl der Vertragsstaaten, auseinandersetzen müssen.