Im Diskussionspapier (2020) der Arbeitsgruppe "Modernisierung des Zivilprozesses", die im Auftrag der Präsidentinnen und Präsidenten der Oberlandesgerichte, des Kammergerichts, des Bayerischen Obersten Landesgerichts und des Bundesgerichthofs tätig ist, wird Folgendes empfohlen:
Zitat
"Strukturierung des Parteivortrags und des Verfahrens"
Der Parteivortrag im Zivilprozess sollte unter den Bedingungen elektronischer Aktenführung in einem gemeinsamen elektronischen Dokument ("Basisdokument") abgebildet werden. … Die Gestaltung und die technischen Voraussetzungen für die Bearbeitung der Vorlage für das Basisdokument werden durch Gesetz oder Verordnung festgelegt (C.I.4).
Das Basisdokument umfasst das vollständige Parteivorbringen in tatsächlicher und rechtlicher Hinsicht einschließlich der Sachanträge. Der Kläger- und Beklagtenvortrag zum Lebenssachverhalt wird im Sinne einer Relationstabelle nebeneinander dargestellt. Er ist nach einzelnen Lebenssachverhaltselementen – i.d.R. chronologisch – und nicht nach Anspruchsgrundlagen gegliedert. Ergänzungen des Vortrags durch die Parteien werden unter Kennzeichnung der Nachträglichkeit an der sachlich passenden Stelle eingefügt (C.I.5).
Das Gericht überwacht die zutreffende Einordnung des Lebenssachverhalts in die Relationstabelle und gibt rechtzeitig Hinweise zur sachgerechten Strukturierung des Vortrags in Teilabschnitten; nur ausnahmsweise greift es selbst in die Struktur ein (C.I.6).
Der im Basisdokument enthaltene wechselseitige Sachvortrag wird im Laufe des Verfahrens durch Erklärung der Parteien oder mit Schluss der mündlichen Verhandlung verbindlich. Er bildet die Entscheidungsgrundlage und übernimmt so die Funktion des Tatbestands im Urteil. An dessen Stelle kann deshalb eine knappe Zusammenfassung des wesentlichen Sachverhalts treten, die die Entscheidungsgründe verständlich macht (C.I.8).
Die Regelungen in § 139 Abs. 1 Satz 3 ZPO zu richterlichen Anordnungen einer zeitlichen Strukturierung des Prozessstoffes sollen durch die Möglichkeit, einen "Strukturierungstermin" – auch im Wege der Videokonferenz – durchzuführen, und durch entsprechende Präklusionsvorschriften ergänzt werden (C.II).“
Auf dem Zivilrichtertag am 2.2.2021 in Nürnberg wurde zum Thema "Strukturierung des Zivilprozesses" u.a. thematisiert:
Die Grundidee des strukturierten Parteivortrags beruhe auf der allen bekannten Relationsmethode, welche regelmäßig zu tabellarischen Übersichten der Richterin/des Richters führe. Diese Grundordnung des Verfahrensstoffes soll in die Sphäre der Parteien verlagert werden, wobei in der Diskussion normorientierte Ansätze einerseits und lebenssachverhaltsbezogene Strukturierungen andererseits vertreten werden. Die Arbeitsgruppe spreche sich für ein gemeinsames elektronisches Basisdokument im Anwaltsprozess auf chronologisch geordneter Lebenssachverhaltsbasis aus, in das sämtlicher Sachvortrag nebst Beweisangeboten von Parteien aufzunehmen sei. Rechtsausführungen seien im Anschluss ebenfalls möglich. Späterer Sachvortrag sei einzuordnen und werde mit Datum digital vermerkt. Zur Verbindlichkeit des Sachvortrags habe man lange diskutiert und sich gegen Präklusionslösungen entschieden. Stattdessen solle der Sachvortrag zum Beispiel nach einem Strukturierungstermin bzw. nach Schluss der mündlichen Verhandlung für verbindlich erklärt werden und den Tatbestand des Urteils ersetzen.
Als Argumente für das vorgeschlagene "Basisdokument" wurden u.a. angeführt: Schaffung von Übersichtlichkeit, Vermeidung von Überflüssigem, Wirkung bereits bei Verfahrensbeginn, effizienter Einsatz digitaler Technologien und Bewahrung des Freiraums für anwaltliche Kunst.
Gegen das "Basisdokument" wurde vorgebracht: ausufernde Schriftsätze seien eine Folge des technischen Fortschritts (EDV) und werden durch tabellarischen Vortrag nicht verhindert; umfangreicher Vortrag diene der Vermeidung von Haftungsrisiken; anwaltliche Kunst werde zurückgedrängt; Strukturierung führe zu einer Verknappung des Vortrags, was auch den Vorstellungen der Parteien widersprechen könne; die ZPO biete bereits jetzt Möglichkeiten zur Strukturierung, die vom Richter nur genutzt werden müssten.
In der anschließenden Befragung der Teilnehmer ergab sich folgendes Meinungsbild: Die Sammlung des Parteivortrages in einem von den Parteivertretern bearbeiteten, gemeinsamen elektronischen Basisdokument gegliedert nach Lebenssachverhaltselementen befürworteten 51 % der abstimmenden Teilnehmer, 19 % enthielten sich, 30 % waren dagegen.