Was ist aber, wenn …? Die Frage drängt sich auf, wie zu entscheiden ist, wenn es zu Unregelmäßigkeiten im Zuge der Erstausbildung oder sonstigen Abweichungen vom Regelfall kommt:
Eine erste derartige Fallkonstellation wird in der vorliegenden Entscheidung direkt angesprochen: Wie, wenn die Erstausbildung erst im fortgeschrittenen Alter begonnen wird bzw. nachdem der Unterhaltspflichtige sich bereits längere Zeit mit Gelegenheitsjobs durchgeschlagen hat? Der Bundesgerichtshof hebt insoweit zu Recht hervor, dass diese Frage unter Berücksichtigung aller Umstände des Einzelfalles zu entscheiden sei; es komme auf die vom Pflichtigen vorgebrachten Gründe an. So soll es beispielsweise unschädlich sein, wenn sich der Unterhaltspflichtige für eine Erstausbildung entscheidet, nachdem er sich über mehrere Jahre hinweg erfolglos um eine besser bezahlte Erwerbstätigkeit bemüht hat, die Arbeitsplatzsuche an der fehlenden Berufsausbildung scheitert oder wenn er aufgrund von Ehe und Partnerschaft sowie der notwendigen Versorgung der hieraus hervorgegangenen Kinder bislang einfach noch keine Gelegenheit hatte, eine Erstausbildung aufzunehmen. Dem Unterhaltspflichtigen wird die Berufung auf eine Privilegierung der Erstausbildung dagegen versagt, wenn er das Abitur erst im Alter von 31 Jahren abgelegt hat, eine danach begonnene Ausbildung zum Zahnarzthelfer kurz vor Ausbildungsende abbrach und das im Anschluss aufgenommene Zahnmedizinstudium mit 37 Jahren und nach Überschreitung der Regelstudienzeit immer noch nicht abgeschlossen war.
Wenn die Ausbildung nicht planvoll, zügig und ernsthaft betrieben wird, kommt eine Privilegierung in der Regel ebenfalls nicht in Betracht. Die notwendige Abwägung zwischen den Interessen des ausbildungswilligen Elternteils und denjenigen des Kindes wird in diesen Fällen vielfach zugunsten einer Sicherung des Unterhalts ausgehen und der Schuldner deshalb verpflichtet sein, seine Ausbildung zeitweilig zu unterbrechen. Die Anforderungen, die von der Rechtsprechung in dieser Hinsicht an den Unterhaltspflichtigen gestellt werden, sind deckungsgleich mit denjenigen, die an einen volljährigen Unterhaltsberechtigten gestellt werden, der von seinen Eltern Ausbildungsunterhalt begehrt: Spiegelbildlich zu dessen Situation kann auch vom ausbildungswilligen Unterhaltspflichtigen erwartet werden, dass er seine Ausbildung zielstrebig und mit dem nötigen Ernst und Fleiß vorantreibt.
Die unterhaltsrechtliche Privilegierung wird schlussendlich auch dann versagt, sobald eine "Flucht in die Erstausbildung" vorliegt. Ob das gegeben ist, wird sich vielfach nur anhand von Indizien feststellen lassen: Das kann beispielsweise angenommen werden, wenn die Ausbildung kurz vor dem planmäßigen Ende "hingeschmissen" wird, um eine zweite, völlig andersgeartete Ausbildung aufzunehmen, wenn der Unterhaltspflichtige sich über Jahre hinweg mit Gelegenheitsjobs und Tätigkeiten als ungelernte Kraft begnügt hat und weder ein echter Grund ersichtlich ist, die Erstausbildung gerade jetzt zu beginnen, noch, dass sich die Berufs- oder Verdienstchancen mit Abschluss der Ausbildung durchgreifend verbessern werden oder schließlich, wenn bereits mehrfach Ausbildungsgänge im fortgeschrittenen Alter begonnen und nicht zu Ende geführt wurden.
Zu beachten ist, dass es entsprechend den allgemeinen Grundsätzen dem Unterhaltspflichtigen obliegt, die Notwendigkeit für die Aufnahme einer Ausbildung und deren zielstrebige Fortführung darzutun und ggf. zu beweisen, dass ihm sich dadurch die Chance für eine nachhaltige Unterhaltssicherung eröffnet; diesbezügliche Zweifel gehen zu seinen Lasten.