1. Vorab zum Aspekt Rechtsschutz
Noch im Sommer 2016 sprach sich das Oberlandesgericht München dafür aus, ein Wechselmodell als sorgerechtliche Regelung anzusehen. In einem Verfahren der einstweiligen Anordnung führt das OLG aus:
Zitat
"Der Senat folgt der Ansicht, die – sofern überhaupt die Zulässigkeit der Anordnung des Wechselmodells bejaht wird, was hier nicht entschieden werden muss – diese Anordnung als sorgerechtliche Regelung wertet. Hierfür spricht insbesondere, dass Entscheidungen über den Lebensmittelpunkt des Kindes – auch als “geteilte'“ Lebensmittelpunkt – dem Aufenthaltsbestimmungsrecht, nicht aber dem Umgang unterfallen (ausführlich Hammer, FamRZ 2015, 1433). Die Annahme einer sorgerechtlichen Regelung führt zur Statthaftigkeit der Beschwerde gemäß § 57 S. 2 Nr. 1 FamFG …“"
Hierzu sieht aber der BGH (näher sogleich) keinen Anlass:
Zitat
"Schließlich ergibt sich auch daraus nichts anderes, dass das Gesetz bei einstweiligen Anordnungen (zum Umgang) den Rechtsschutz gegenüber sorgerechtlichen Maßnahmen in § 57 S. 1 FamFG einschränkt. Auch hier ist darauf zu verweisen, dass eine Umgangsregelung im Unterschied zu einem Sorgerechtseingriff lediglich eine Regelung zur Ausübung der elterlichen Sorge darstellt, die im Vergleich zu einem Eingriff in das Sorgerecht grundsätzlich von geringerer Intensität ist. Wie auch bei anderen, im Vergleich zum Wechselmodell weniger weitreichenden Umgangsregelungen begegnet es daher – insbesondere bei bestehender gemeinsamer elterlicher Sorge – keinen verfassungsrechtlichen Bedenken, dass ein Rechtsmittel gegen eine das Wechselmodell anordnende einstweilige Anordnung nicht statthaft ist (vgl. BVerfG FamRZ 2005, 1233, 1235). Für die Umdeutung einer erstinstanzlichen Umgangsregelung in eine sorgerechtliche Regelung (so OLG München a.a.O.) besteht mithin ungeachtet methodischer Bedenken kein Anlass (vgl. auch OLG Hamm FamRZ 2014, 1839)." [Hervorh. d. Verf.]
2. Insgesamt zur neuen BGH-Rechtsprechung
a) Vorinstanz OLG Nürnberg (Beschl. v. 8.12.2015 – 11 UF 1257/15)
Fall: Die gemeinsam sorgeberechtigten Eltern hatten einen seitens des Vaters jeweils 14-tägig am Wochenende sowie während der Ferien mit dem Kind auszuübenden Umgang vereinbart. Der Vater erstrebt eine Ausweitung des Umgangs in der Form eines paritätischen Wechselmodells sowie eine gleiche Aufteilung der Ferien und Feiertage. Sein Begehren wurde erst- und zweitinstanzlich zurückgewiesen.
b) Leitsätze des BGH (Beschl. v. 1.2.2017 – XII ZB 601/15, FamRZ 2017, 532 ff.)
Zitat
1. Eine gerichtliche Umgangsregelung, die im Ergebnis zu einer gleichmäßigen Betreuung des Kindes durch beide Eltern im Sinne eines paritätischen Wechselmodells führt, wird vom Gesetz nicht ausgeschlossen. Auch die Ablehnung des Wechselmodells durch einen Elternteil hindert eine solche Regelung für sich genommen noch nicht. Entscheidender Maßstab der Regelung ist vielmehr das im konkreten Einzelfall festzustellende Kindeswohl.
2. Die auf ein paritätisches Wechselmodell gerichtete Umgangsregelung setzt eine bestehende Kommunikations- und Kooperationsfähigkeit der Eltern voraus (Fortführung des Senatsbeschl. v. 15.6.2016 – XII ZB 419/15, FamRZ 2016, 1439). Dem Kindeswohl entspricht es daher nicht, ein Wechselmodell zu dem Zweck anzuordnen, eine Kommunikations- und Kooperationsfähigkeit erst herbeizuführen.
3. Ist das Verhältnis der Eltern erheblich konfliktbelastet, so liegt die auf ein paritätisches Wechselmodell gerichtete Anordnung in der Regel nicht im wohlverstandenen Interesse des Kindes.
4. Das Familiengericht ist im Umgangsverfahren zu einer umfassenden Aufklärung verpflichtet, welche Form des Umgangs dem Kindeswohl am besten entspricht. Dies erfordert grundsätzlich auch die persönliche Anhörung des Kindes (im Anschluss an Senatsbeschl. v. 15.6.2016 – XII ZB 419/15, FamRZ 2016, 1439).
c) Einzelheiten, zugleich Besprechung der Entscheidung
aa) Zu LS 1
Zur – bisher umstrittenen – Einordnung als Sorge- oder Umgangsregelung hält sich das Gericht zurück und trifft lediglich folgende Aussage:
Zitat
"Nach zutreffender Auffassung enthält das Gesetz keine Beschränkung des Umgangsrechts dahingehend, dass vom Gericht angeordnete Umgangskontakte nicht zu hälftigen Betreuungsanteilen der Eltern führen dürfen. Ob auf entsprechenden Antrag eines Elternteils und mit welchem Inhalt auch eine auf das gleiche Ergebnis gerichtete Sorgerechtsregelung möglich ist, kann hier offenbleiben."
Diese Aussage kann durchaus dem Umstand geschuldet sein, dass das dem BGH vorliegende Verfahren aus einer Umgangsregelung mündete und vom Kindsvater eine Ausweitung auf ein Wechselmodell beantragt war.
Der BGH begründet sein Ergebnis zunächst damit, dass sich nirgends eine zeitliche Grenze für eine Umgangsregelung finde, diese somit auch paritätisch sein könne.
Ferner beschäftigt sich der BGH mit der Systematik zwischen Umgang und elterlicher Sorge. Zwar habe der Gesetzgeber das Residenzmodell zugrunde gelegt (vgl. etwa §§ 1687, 1606 Abs. 3 S. 2, 1629 Abs. 2 S. 2 BGB), damit aber nur den häufigsten Regelungsfall aufgegriffen. Dass es auch Regelungen des Wechselmodells gäbe, habe der Gesetzgeber gewusst.
Man muss laut BGH beim (gemeinsamen) Sorgerecht keinen Lebensschwerpunkt des Kindes festle...