Einführung
Die grundsätzlich zwingende persönliche Anhörung des Kindes ist seit Inkrafttreten des FamFG am 1.9.2009 in § 159 FamFG geregelt. Hierbei hat sie "den Regelungsgehalt des § 50b FGG übernommen, wobei allerdings die Ausgestaltung der Anhörung präziser beschrieben worden ist". Mit dem zum 1.7.2021 in Kraft getretenen Gesetz zur Bekämpfung sexualisierter Gewalt gegen Kinder hat der Gesetzgeber die in § 159 FamFG vorgesehene Anhörung des Kindes einer grundlegenden Reform zugeführt. Die Vorschrift des § 159 Abs. 1 FamFG regelt nunmehr eine zwingende Pflicht zur persönlichen Anhörung des Kindes und eine Pflicht des Gerichts, sich einen persönlichen Eindruck von dem Kind zu verschaffen, sofern nicht einer der in § 159 Abs. 2 S. 1 FamFG abschließend genannten Ausnahmetatbestände eingreift.
I. Allgemeines
Das Gesetz vermittelt durch das Wort "und" den Eindruck, als dass die persönliche Anhörung des Kindes und dessen Inaugenscheinnahme kumulativ erfolgen müssen. Dass dem so nicht ist, ergibt sich bereits aus der Vorschrift des § 159 Abs. 3 S. 1 FamFG, wo der Gesetzgeber bei der Anhörung/Verschaffung des persönlichen Eindrucks von dem Kind (Inaugenscheinnahme) die Konjunktion "oder" gebraucht. Es geht daher hierbei um die persönliche Anhörung des Kindes bzw. um die Verschaffung der Inaugenscheinnahme. Es wäre wünschenswert gewesen, wenn der Gesetzgeber sich einer einheitlichen Terminologie bedient hätte. Mit Rücksicht hierauf hat der Verfasser seinen Aufsatz mit der Überschrift versehen "Anhörung bzw. Inaugenscheinnahme des Kindes nach § 159 FamFG".
II. Persönliche Anhörung bzw. persönliche Inaugenscheinnahme des Kindes gemäß § 159 Abs. 1 FamFG
1. Persönliche Anhörung bzw. persönliche Inaugenscheinnahme des Kindes als ein Verfahrensgrundsatz mit Verfassungsrang
Bei der gemäß § 159 Abs. 1 FamFG vorgeschriebenen persönlichen Anhörung bzw. der persönlichen Inaugenscheinnahme des Kindes handelt es sich um einen Verfahrensgrundsatz mit Verfassungsrang, der die Stellung des Kindes als Subjekt im Verfahren, seine Grundrechte und sein rechtliches Gehör schützt. Der in Art. 103 Abs. 1 GG gewährleistete Anspruch auf rechtliches Gehör steht, wie das BVerfG in seiner Entscheidung vom 31.10.2023 ausgeführt hat, "in funktionalem Zusammenhang mit der Rechtsschutzgarantie und der Justizgewährungspflicht des Staates. Der Einzelne soll nicht bloßes Objekt der richterlichen Entscheidung sein, sondern von einer Entscheidung, die seine Rechte betrifft, zu Wort zu kommen, um als Subjekt auf das Verfahren und sein Ergebnis Einfluss nehmen zu können. Art. 103 Abs. 1 GG vermittelt allen an einem gerichtlichen Verfahren Beteiligten einen Anspruch darauf, sich zum verfahrensgegenständlichen Sachverhalt und zur Rechtslage zu äußern, sowie Anträge zu stellen und Ausführungen zu machen. Dementsprechend erfordert die Gewährung rechtlichen Gehörs, einer gerichtlichen Entscheidung lediglich solche Tatsachen und Beweisergebnisse zugrunde zu legen, zu denen sich die Beteiligten vorher äußern konnten. Mit dem Äußerungsrecht korrespondiert die Pflicht des Gerichts, Ausführungen der Beteiligten zur Kenntnis zu nehmen und in Erwägung zu ziehen. Das Äußerungsrecht ist mit dem ebenfalls in Art. 103 Abs. 1 GG wurzelnden Recht auf Information eng verknüpft. Eine den verfassungsrechtlichen Anforderungen genügende Gewährung rechtlichen Gehörs erfordert, dass die Verfahrensbeteiligten erkennen können, auf welchen Tatsachenvortrag es für die Entscheidung ankommen kann. Sie müssen sich unter Anwendung der gebotenen Sorgfalt über den gesamten Verfahrensstoff unterrichten können. Den Gerichten obliegt in diesem Zusammenhang, von sich aus den Beteiligten alles für das Verfahren Wesentliche mitzuteilen".
Mit Rücksicht hierauf kann der Kindeswille nicht aus dem Vortrag der Beteiligten abgeleitet werden, sondern ist insbesondere durch die persönliche Anhörung des Kindes zu ermitteln. Denn die Mitteilung des Kindes kann auf die zu treffende Entscheidung durchaus Einfluss haben, weil es die Möglichkeit erhält, die eigene Perspektive in das familiengerichtliche Verfahren einzubringen. Nur dadurch wird der Anhörungspflicht im Rahmen der Amtsermittlung gemäß § 26 FamFG Genüge getan sowie dem gebotenen Grundrechtsschutz durch die Gestaltung des Verfahrens Rechnung getragen.
2. Persönliche Anhörung des Kindes nach § 159 Abs. 1 FamFG
Betroffene Kinder sind nach § 159 Abs. 1 FamFG grundsätzlich in allen Kindschaftssachen persönlich anzuhören. Daher ist die persönliche Anhörung des Kindes auch in den Fällen des § 1626a Abs. 2 S. 2 BGB, 155a Abs. 3 S. 1 FamFG nicht entbehrlich. Gleiches gilt in Verfahren betreffend das Umgangsrecht eines sozialen Vaters nach § 1685 Abs. 2 BGB. Auch hier ist das Kind persönlich anzuhören. D...