Beim Unterhaltsanspruch geschiedener Ehegatten und insbesondere der betreuenden Mutter deuten verschiedene Indikatoren, wie gezeigt, weiter in die Abwärtsrichtung. Doch könnte es sein, dass die Minimierung der Unterhaltschancen inzwischen ein Ausmaß erreicht hat, das Gegenkräfte provoziert. "Charttechnisch" kann man die Beobachtung machen, dass gegen Übertreibungen oder Untertreibungen irgendwann Gegenbewegungen einsetzen. Und es lässt sich auch immer wieder die Erfahrung machen, dass rechtsdogmatische Bastionen, die auf methodischen Sand gebaut sind, zwar lange halten (Stichwort: Abzugsmethode/Differenzmethode), dann aber plötzlich in sich zusammenfallen können.
Bekanntlich hat die Entscheidung des BGH vom 15.6.2011 zum Betreuungsunterhalt für ein Kind, das vordem in einer Pflegefamilie gelebt hatte und zur Mutter zurückgekehrt war, nicht das allgemeine Wohlgefallen der öffentlichen Meinung und der Fachpresse gefunden. Auch in der Politik wird über gesetzliche Korrekturen nachgedacht.
Wenn meine Ahnung nicht trügt, ist allerdings die Neigung von Regierung und Parlament, sich erneut auf das Schlachtfeld des Unterhaltsrechts zu begeben, gering. Der Gesetzgeber hat im Unterhaltsrecht eigentlich der Rechtsprechung mit einer Häufung von gestaltlosen Termini alle Möglichkeiten eröffnet, zu tragbaren Ergebnissen zu kommen. Die Termini "billig", "Billigkeit", "unbillig", "grob unbillig" kommen in den Vorschriften des Geschiedenenunterhalts über zehn Mal vor, von der Häufigkeit des Wortes "angemessen" ganz zu schweigen. In eine derart gummiartige Gesetzeslage klärende Strukturen einzuziehen, ist schwierig.
Ein kräftiger Impuls zu einem Aufwärtstrend könnte freilich vom BVerfG kommen. Der verfassungsrechtliche Angelpunkt scheint mir in folgender Grundauffassung zu liegen. Der BGH sagt, der Gesetzgeber habe mit der Neuregelung des Betreuungsunterhalts zum 1.1.2008 für Kinder ab Vollendung des dritten Lebensjahres grundsätzlich den Vorrang der persönlichen Betreuung durch die Eltern gegenüber anderen kindgerechten Betreuungsmöglichkeiten aufgegeben. In dem Umfang, in dem das Kind nach Vollendung des dritten Lebensjahres eine kindgerechte Einrichtung besucht oder besuchen könnte, könne sich der betreuende Elternteil nicht mehr auf die Notwendigkeit einer persönlichen Betreuung des Kindes berufen. Wenn dies zutrifft, hat auch das über drei Jahre alte Kind selbst kein Recht auf die persönliche elterliche Pflege und Erziehung, mögen die Lebensverhältnisse der Eltern sein wie sie wollen. Diese Auffassung lässt sich weder aus dem Wortlaut des Reformgesetzes herleiten, wo ja die Belange des Kindes als Billigkeitsgrund eigens genannt sind, noch aus der Entstehungsgeschichte der Norm. Das Reformgesetz nennt die Förderung des Kindeswohls als eines der Hauptziele. Dann ist es doch sehr fraglich, ob die über das Unterhaltsrecht erzwungene Verweigerung persönlicher Kindesbetreuung durch die Eltern in diese Programmatik passt. Es geht zum einen um das Elternrecht, das stets das Recht zur persönlichen Pflege und Erziehung durch die Eltern zum Inhalt hat, sofern der Staat nicht gezwungen ist, aufgrund seines Wächteramtes zum Schutz der Kinder einzugreifen. Es geht gleichzeitig um die Rechte des Kindes, die – wie uns das BVerfG lehrt – ebenso im Grundgesetz verankert sind. Es wäre gut, wenn das BVerfG Gelegenheit fände, zu dieser Kernfrage des Eltern-Kind-Verhältnisses Stellung zu nehmen.
Aufs Ganze scheint die Karte der "Erwerbsobliegenheit trotz Kindesbetreuung" eindeutig überreizt. Deshalb gebe ich den Gegenkräften eine gewisse Chance und habe das durch einen bescheidenen Aufwärtstrend in den Charts angedeutet.