Einführung
Die Rechtsprechung zum Maß des nachehelichen Unterhalts hat sich seit der gesetzlichen Neuregelung durch das 1. Eherechtsreformgesetz fortlaufend entwickelt. Vorübergehend hatte der BGH den auch beim Ehegattenunterhalt zu beachtenden Halbteilungsgrundsatz auch hinsichtlich aller nachehelichen Entwicklungen nicht erst im Rahmen der Leistungsfähigkeit des Unterhaltspflichtigen, sondern bereits als Teil der Bedarfsbemessung nach den "ehelichen Lebensverhältnissen" gemäß § 1578 Abs. 1 Satz 1 BGB behandelt. Diesen Lösungsansatz zur Berücksichtigung nachehelicher Entwicklungen hat das BVerfG für nicht mit dem Grundgesetz vereinbar erachtet. Die Rechtsprechung verstoße insoweit gegen Art. 2 Abs. 1 GG i.V.m. Art. 20 Abs. 3 GG, weil sie die vom Gesetz vorgegebene Unterscheidung zwischen Bedarfsbemessung nach § 1578 Abs. 1 Satz 1 BGB und Leistungsfähigkeit nach § 1581 BGB nicht genügend beachte. Der BGH hat diese verfassungsrechtliche Vorgabe inzwischen umgesetzt und ist für die Bemessung des Unterhaltsbedarfs nach den ehelichen Lebensverhältnissen gemäß § 1578 Abs. 1 Satz 1 BGB zum Stichtagsgrundsatz zurückgekehrt. Die zusätzliche Belastung durch nachehelich hinzugekommene Unterhaltspflichten berücksichtigt er jetzt im Rahmen der Leistungsfähigkeit nach § 1581 BGB.
I. Rechtslage vor Inkrafttreten des 1. Eherechtsreformgesetzes
Bis zum Inkrafttreten des 1. Eherechtsreformgesetzes war der nacheheliche Unterhalt im Ehegesetz (EheG) geregelt. Die Unterhaltspflicht war davon abhängig, ob einer der Ehegatten allein oder überwiegend für an der Ehescheidung schuldig erklärt worden war (§§ 58, 59 EheG) oder ob mit der Scheidung festgestellt worden war, dass beide Ehegatten an der Scheidung schuld sind (§ 60 EheG). Ein allein oder überwiegend für an der Scheidung schuldig erklärter Mann hatte seiner geschiedenen Ehefrau gemäß § 58 EheG den "nach den Lebensverhältnissen der Ehegatten" angemessenen Unterhalt zu gewähren, soweit die Einkünfte aus ihrem Vermögen und die Erträgnisse ihrer Erwerbstätigkeit nicht ausreichten. Soweit die Gewährung des eheangemessenen Unterhalts bei Berücksichtigung seiner sonstigen Verpflichtungen zu einer Gefährdung des eigenen angemessenen Unterhalts des unterhaltspflichtigen Ehegatten führte, musste er nach § 59 EheG nur so viel leisten, wie es mit Rücksicht auf die Bedürfnisse und die Vermögens- und Erwerbsverhältnisse der geschiedenen Ehegatten der Billigkeit entsprach. Der Unterhaltsanspruch eines geschiedenen Ehegatten und der Anspruch eines neuen Ehegatten standen nach diesem früheren Recht gleichrangig nebeneinander.
Auf dieser gesetzlichen Grundlage wurde überwiegend vertreten, dass sich nacheheliche Veränderungen der Einkommensverhältnisse grundsätzlich bereits auf die Bemessung des Unterhaltsbedarfs nach § 58 EheG auswirkten und nur außergewöhnliche Einkommens- und Vermögenssteigerungen auf Seiten des Unterhaltspflichtigen bei der Bedarfsbemessung unberücksichtigt blieben. Auch eine weitere Unterhaltspflicht gegenüber einem gleichrangigen neuen Ehegatten wurde bereits bei der Bemessung des Unterhaltsbedarfs des geschiedenen Ehegatten nach den Lebensverhältnissen der Ehegatten gemäß § 58 EheG und nicht erst im Rahmen der Leistungsfähigkeit nach § 59 EheG berücksichtigt. Auch nach der Rechtsprechung des Reichsgerichts waren die Interessen eines geschiedenen und die eines neuen Ehegatten bereits bei der Bemessung des Unterhaltsbedarfs als gleichwertig zu berücksichtigen.
II. Änderung durch das 1. Eherechtsreformgesetz
Durch das 1. Eherechtsreformgesetz wurden die Vorschriften zum nachehelichen Unterhalt in das Bürgerliche Gesetzbuch übernommen. Das Maß des Unterhalts bestimmt sich seitdem gemäß § 1578 Abs. 1 Satz 1 BGB generell nach den "ehelichen Lebensverhältnissen". Mit dieser Formulierung wollte der Gesetzgeber keine Änderung gegenüber dem früheren Maßstab für den verschuldensabhängigen Unterhalt nach den "Lebensverhältnissen der Ehegatten" herbeiführen. Die leicht geänderte Formulierung sollte lediglich den wesentlichen Reformgedanken verdeutlichen, wonach der nacheheliche Unterhalt nun auch verschuldensunabhängig den vollen Unterhaltsbedarf nach den ehelichen Lebensverhältnissen sicherstellen und nicht lediglich einen geringeren Unterhaltsbeitrag einräumen sollte, wie dies im Rahmen des von einem Scheidungsverschulden unabhängigen früheren U...