Entscheidungsstichwort (Thema)
Voller Kindergeldanspruch eines polnischen Beziehers von Arbeitslosengeld II bei gemeinsamem Wohnsitz mit den Kindern im Inland und Wohnsitz der dauernd getrennt lebenden, erwerbslosen Kindesmutter in Polen. Anrechnung des in Deutschland bezogenen Arbeitslosen- und Unterhaltsgeldes auf die Einkommensgrenze für den polnischen Kindergeldanspruch
Leitsatz (redaktionell)
1. Ein von der in Polen ansässigen Kindesmutter dauernd getrennt lebender polnischer Vater, der mit seinen Kindern an einem Wohnsitz im Inland lebt und Arbeitslosengeld II bezieht, fällt nicht in den Anwendungsbereich der Verordnung (EWG) Nr. 1408/71 v. 14.6.1971 zur Anwendung der Systeme der sozialen Sicherheit auf Arbeitnehmer und Selbständige sowie deren Familienangehörige, die innerhalb der Gemeinschaft zu- und abwandern (konsolidierte Fassung – ABl. Nr. L 28 vom 30.01.1997, 1), und der hierzu ergangenen Verordnung (EWG) Nr. 547/72 des Rates vom 21.3.1972 über die Durchführung der Verordnung (EWG) Nr. 1408/71. Der Anspruch des Vaters auf Auszahlung des vollen, ungekürzten Kindergeldes wird daher weder durch die Verordnung (EWG) Nr. 1408/71 noch durch § 65 Abs. 1 S. 1 Nr. 2 EStG ausgeschlossen, wenn die Kinder sich nicht in Polen aufhalten, in Deutschland zur Schule gehen und weder dem Kindesvater noch der erwerbslosen Kindermutter in Polen Familienleistungen zustehen.
2. Bei der für den Kindergeldanspruch der Kindesmutter in Polen u. a. erforderlichen Prüfung, ob das Familieneinkommen pro Familienmitgleid höchstens 504 PLN monatlich beträgt, ist ein vom polnischen Kindesvater in Deutschland bezogenes Arbeitslosen- bzw. Unterhaltsgeld zu berücksichtigen und kann von seiner Höhe her bereits für sich genommen dazu führen, dass kein Kindergeldanspruch in Polen besteht.
Normenkette
EStG § 62 Abs. 1 Nr. 1, § 63 Abs. 1, § 64 Abs. 2 S. 1, § 65 Abs. 1 S. 1 Nr. 2; EWGV 1408/71 Art. 2 Abs. 1, Art. 1 Buchst. a Ziff. ii; VO (EWG) Nr. 1408/71 Art. 12 Abs. 2
Tenor
Der Bescheid der Beklagten vom 7. Dezember 2005 in Gestalt der Einspruchsentscheidung vom 28. Juli 2006 wird aufgehoben.
Die Kosten des Verfahrens werden der Beklagten auferlegt.
Das Urteil ist hinsichtlich der Kosten vorläufig vollstreckbar. Der Beklagte kann die Vollstreckung durch Sicherheitsleistung in Höhe des Kostenerstattungsanspruchs des Klägers abwenden, wenn nicht der Kläger vor der Vollstreckung Sicherheit in derselben Höhe leistet.
Tatbestand
Der polnische Kläger lebt nach Aktenlage zusammen mit den beiden 1992 und 1993 geborenen Söhnen dauernd getrennt von der in Polen lebenden Kindesmutter. Der Kläger und seine Kinder verfügen seit Februar 1999 über unbefristete Aufenthaltserlaubnisse und sind in D gemeldet. Der Beklagte setzte mit Bescheid vom 8. Juni 1999 Kindergeld in gesetzlicher Höhe gegenüber dem Kläger für beide Kinder fest. Der Kläger erhielt vom 1. Januar 2004 bis 17. Oktober 2004 Arbeitslosenhilfe in Höhe von 5.409,69 EUR und vom 18. Oktober 2004 bis 31. Dezember 2004 Unterhaltsgeld in Höhe von 1.350,30 EUR. Nachfolgend bezog der Kläger durchgängig Arbeitslosengeld II, weitgehend unter Anrechnung geringen sonstigen Einkommens bzw. Erwerbseinkommens.
Auf Anfrage der Beklagten teilte der Kläger am 16. November 2005 mit, seine Frau beziehe in Polen keine Leistungen und sei nicht erwerbstätig. Die Beklagte setzte das Kindergeld mit Bescheid vom 7. Dezember 2005 ab Januar 2006 auf jeweils auf 77 EUR fest. Aufgrund des Wohnsitzes des anderen Elternteils in Polen träfen Ansprüche zweier Staaten aufeinander. Nach den Angaben im Antrag sei der Kläger in Deutschland nicht versicherungspflichtig und werde vom Geltungsbereich der EG VO 1408/71 nicht erfasst. Das treffe auch auf den anderen Elternteil zu, da dieser nicht erwerbstätig sei. Der Anspruch auf vergleichbare Leistungen in Polen schließe nach § 65 Abs.1 Nr. 2 Einkommensteuergesetz (EStG) den Anspruch auf Kindergeld in Deutschland aus. Aufgrund der allgemeinen Konkurrenzvorschrift des Art. 12 Abs.2 der EWG VO 1408/71 i.V.m. Art 7 Abs.1 DVO Nr. 574/72 führe der Ausschluss des Kindergeldanspruchs in Deutschland dazu, dass das hälftige Kindergeld in Deutschland zu zahlen sei.
Mit dem dagegen eingelegten Einspruch verweist der Kläger auf die Bescheinigung des städtischen Sozialhilfezentrums E vom 28. November 2005, wonach seine Frau keinen Anspruch auf Kindergeld in Polen habe. Die Kinder wohnten in Deutschland und gingen hier auch zur Schule. In Polen hätten sie zu keinem Zeitpunkt Kindergeld oder andere Leistungen bekommen. Die Beklagte wies den Einspruch mit Einspruchsentscheidung vom 28. Juli 2006 als unbegründet zurück.
Mit der dagegen erhobenen Klage legte der Kläger eine Bescheinigung der Städtischen Zentrale für Sozialhilfe vom 18. August 2006 vor, wonach weder er noch die Ehefrau seit 1995 Kindergeld in Polen beziehen, da sich die Kinder seit 1995 in Deutschland aufhielten. Er habe seinen Lebensmittelpunkt in Deutschland und pflege keine Beziehungen mehr zu Polen. Ihm stehe daher das Kindergeld in vo...