Entscheidungsstichwort (Thema)
Zwangsläufigkeit im Sinne des § 33 Abs. 2 EStG von ärztlich verordneten Nahrungsergänzungsmitteln bei Krebserkrankungen
Leitsatz (redaktionell)
Aufwendungen für Nahrungsergänzungsmittel sind auch dann nicht als außergewöhnliche Belastungen abzugsfähig, wenn sie dem an Krebs erkrankten Steuerpflichtigen ärztlich verordnet worden sind. Aufwendungen für Lebensmittel – auch in Form von nicht in den Anwendungsbereich des § 2 AMG fallenden Nahrungsergänzungsmitteln im Sinne des § 1 NemV – sind nicht originäre Aufwendungen im Krankheitsfall, die dem Anwendungsbereich des § 33 Abs. 1 EStG zugeordnet werden können. Es handelt sich insoweit vielmehr um Kosten der privaten Lebensführung, die dem Abzugsverbot des § 12 Nr. 1 EStG unterfallen.
Normenkette
EStG § 12 Nr. 1, § 33 Abs. 1, 2 Sätze 1, 3; NemV § 1; AMG § 2
Tenor
1. Die Klage wird abgewiesen.
2. Die Kläger tragen die Kosten des Verfahrens.
3. Die Revision wird zugelassen.
Tatbestand
I.
Streitig ist, ob die ärztlich verordneten und vom beklagten Finanzamt (im Folgenden: FA) nicht anerkannten Aufwendungen für Präparate, die aufgrund einer Tumorerkrankung eingenommen wurden, als außergewöhnliche Belastungen berücksichtigungsfähig sind.
Die Kläger sind Eheleute, die in den Streitjahren 2019 und 2020 mit ihren Einkünften aus Gewerbebetrieb (betreffend nur die Klägerin), aus nichtselbständiger Arbeit, Vermietung und Verpachtung, sowie sonstige Einkünfte (betreffend nur den Kläger) vom FA zusammen zur Einkommensteuer veranlagt wurden.
Der Kläger leidet seit der Diagnose im Jahr 2015 an einer Tumorerkrankung (metastasierender Prostatakrebs), der mit einer Hormontherapie nicht mehr heilbar ist. Der Kläger, dem zum Zeitpunkt dieser Diagnose eine Lebenserwartung von maximal fünf bis sieben Jahren in Aussicht gestellt worden war, unterzog sich einer Operation und einer anschließenden Chemotherapie, und leidet bis heute unter starken Nebenwirkungen.
Die Kläger machten deshalb in den Streitjahren Aufwendungen in 2019 in Höhe von insgesamt 31.031,– Euro und in 2020 in Höhe von 36.048,– Euro steuermindernd geltend, die das FA im Rahmen der Einkommensteuerveranlagungen teilweise als berücksichtigungsfähige Krankheitskosten behandelte bzw. von einer privaten Krankenversicherung teilweise erstattet wurden. Das FA berücksichtigte indes nicht die von den Klägern geltend gemachten Aufwendungen für Nahrungsergänzungsmittel in Höhe von 9.871,– Euro in 2019 und 10.847,– Euro in 2020 als außergewöhnliche Belastung. Im Einzelnen handelt es sich um folgende Präparate:
- Acerola
- (Lac.) Acidophilus Kapseln
- Aminosäuren-Komplex
- Agaricus
- All Plant Forte Protein
- Bio-Brokkoli-Keimlinge Kapseln
- Bitterkraft Tropfen
- Blitzbasen
- Blue Redox Flasche
- Boron 3mg Tabletten
- CLA Tabletten
- Calcium Magnesium Plus Tabletten
- Cistus Incanus Tabletten
- Citroplus 800
- Graipefruit Kern Extrakt
- Coenzym Q10
- Coriolus Bio Vitalpilztabletten
- Curcumin-Extrakt
- Double X Tabletten
- Dr. Jacobs Basenpulver
- Dr. Jacobs Granaforte Tropfen
- Dr. Jacobs GranaProstan ferment
- Fibre Powder
- Glucosamin
- Green Tea
- Hericium Vitalpilzkapseln
- Indol-3-Carbinol
- Konzentriertes Obst u Gemüse Tabletten
- Kräuterbeer 1l
- Lecithin E Kautabletten
- L-Glutamine Kapseln
- Magnesium Stick
- Magnesium Tabletten
- Maitake
- Mangan
- Milk Thistle Kapseln
- Multi Impuls 1,0l Flasche
- Nepro-rella Algen
- Omega 3 Kapseln
- OPC-Kapseln
- PorSol Tabletten
- ProBioBact
- ProstaSol Tabletten
- Phönix Silybum spag
- Phönix Solidago spag
- Phönix Thuja-Lachesis
- Quercitin (mit Bioflavonoide)
- Roter Ginseng
- Reishi Vitalpilz
- Shiitake Pilz-Tabletten
- Shirtake Kapseln
- Silymarin Kapseln
- Superkrillöl
- Vitamin B plus
- Vitamin C Plus Tabletten
- Vitamin D3 Kapseln
- Weihrauch-Kapseln
- Zink Mineralstick
Das FA setzte für das Streitjahr 2019 im Einkommensteuerbescheid vom 9. Februar 2022 eine Einkommensteuer in Höhe von 48.671 Euro und für das Streitjahr 2020 im Einkommensteuerbescheid vom 3. November 2022 eine Einkommensteuer in Höhe von 43.386 Euro fest.
Die Einsprüche der Kläger gegen die Einkommensteuerfestsetzungen 2019 und 2020 vom 11. Februar 2022 und vom 18. November 2022, die sich gegen die Nichtanerkennung der Nahrungsergänzungsmittel als außergewöhnliche Belastungen richteten, blieben in der Einspruchsentscheidung des FA vom 3. Februar 2023 ohne Erfolg.
Mit der am 1. März 2023 erhobenen Klage verfolgen die Kläger ihr Einspruchsbegehren weiter und tragen – unter Verweis auf ein ärztliches Attest vom 2. Juni 2016, einen ambulanten Arztbrief vom 29. April 2015, den histopathologischen Befund vom 21. Mai 2015 sowie den PET-CT-Befund vom 6. Mai 2015 – vor, der Kläger benötige die kontinuierliche Einnahme spezieller Präparate, da bereits die Knochen und Lymphdrüsen befallen seien. Die geltend gemachten – nicht vom FA berücksichtigten – Krankheitskosten könnten nicht als reine Diätaufwendungen beurteilt werden, weil diese Aufwendungen lebensnotwendig seien, um eine Fortschreitung dieser schweren Krankheit auszuschließen. Aus den weiteren Berichten der Klinik über die Einweisung und stationäre Behandlun...