I. Das Problem
Girokonto mit historischem Freistellungsbeschluss
Der erwerbstätige Schuldner hat ein Girokonto. Die Auszahlungsansprüche hat der Gläubiger ebenso wie die pfändbaren Teile des Arbeitseinkommens bereits seit Jahren gepfändet. Auf die Umwandlung des Girokontos in ein Pfändungsschutzkonto (P-Konto) hat der Schuldner nach dessen Einführung am 1.7.2010 verzichtet. Damit der Gläubiger nicht auf sein unpfändbares Arbeitseinkommen zugreifen kann, wenn es auf dem Konto eingeht, hat er sich nach dem bis zum 30.6.2010 geltenden § 850k ZPO a.F. bzw. dem vom 1.7.2010 bis zum 31.12.2011 geltenden § 850l ZPO a.F. sein pfändungsfreies Arbeitseinkommen auch auf dem Konto freistellen lassen. Für Januar 2012 und die folgenden Monate stellt sich nun die Frage, ob angesichts der Aufhebung der §§ 850k, 850l ZPO a.F. auch die hierauf beruhenden Freistellungsbeschlüsse gegenstandslos sind oder der Gläubiger ausdrücklich die Aufhebung beantragen muss.
II. Die Lösung
Nicht geregelt – nicht entschieden – alles vertretbar
Die aufgeworfene Frage lässt sich nicht eindeutig beantworten. Der Gesetzgeber hat es versäumt, diese Frage ausdrücklich gesetzlich in einer Übergangsbestimmung zu regeln. Eine höchstrichterliche Entscheidung liegt ebenso wenig vor wie veröffentlichte Beschwerdeentscheidungen. Grundsätzlich sind zwei Ansichten vertretbar.
Grundlage der Freistellung ist entfallen
Einerseits kann argumentiert werden, dass es mit dem Wegfall der bezeichneten Normen an einer gesetzlichen Grundlage für die entsprechenden Freistellungsbeschlüsse fehlt und sie nach der Ratio des Gesetzes, das ab dem 1.1.2012 einen Pfändungsschutz nur noch auf dem Pfändungsschutzkonto gewähren möchte, als gegenstandslos anzusehen sind. Einer solchen Auffassung neigen neben dem Bundesministerium für Justiz auch verschiedene Landesjustizministerien, die Kreditwirtschaft und eine Vielzahl von Schuldnerberatungen zu. Sie empfehlen deshalb dem Schuldner nachdrücklich, ein Pfändungsschutzkonto einzurichten.
Nachträglicher Wegfall der Norm lässt Rechtsakt unberührt
Dogmatisch betrachtet führt dagegen der nachträgliche Wegfall einer Norm noch nicht zur Nichtigkeit des darauf beruhenden Rechtsaktes. So wird niemand behaupten wollen, dass eine Änderung einer Landesbauordnung eine auf der ursprünglichen Grundlage erteilte Baugenehmigung nichtig macht. Vielmehr ist im Einzelfall zu prüfen, ob der Rechtsakt aufzuheben ist.
Jedenfalls kein Freistellungsbeschluss neben P-Konto
Das Amtsgericht Hannover (vom 20.7.2010, 714 145593/09 = FoVo 2010, 183) hat entschieden, dass der Freistellungsbeschluss jedenfalls dann gegenstandslos wird, wenn der Schuldner ein Pfändungsschutzkonto eröffnet. Dies ergebe sich aus der Ratio des Gesetzes.
III. Der Praxistipp
So gehen Sie rechtssicher vor
Vor diesem Hintergrund kann dem Gläubiger nur empfohlen werden, mit dem Kreditinstitut Kontakt aufzunehmen und um die ausdrückliche Erklärung zu bitten, dass der frühere Freistellungsbeschluss nicht mehr beachtet wird. Sofern das Kreditinstitut nicht bereit ist, eine solche Erklärung abzugeben, sollte die förmliche Aufhebung des Beschlusses, hilfsweise die Klarstellung, dass der Freistellungsbeschluss keine Wirkung mehr entfaltet, beim Vollstreckungsgericht beantragt werden. Nur so kann der Gläubiger sicherstellen, dass der Schuldner nicht unberechtigt auf einem normalen Girokonto Pfändungsschutz genießt.