Leitsatz
Gemäß § 850c Abs. 4 ZPO kann das Vollstreckungsgericht anordnen, dass die Ehefrau des Schuldners bei der Berechnung des unpfändbaren Teils des Arbeitseinkommens des Schuldners unberücksichtigt bleibt, wenn die grundsätzlich unterhaltsberechtigte Person eigene Einkünfte hat.
OLG Rostock, 2.10.2012 – 3 W 125/12
1 I. Die Entscheidung
Eigene Einkünfte einer unterhaltsberechtigten Person
Zu Recht hat das LG auf Antrag des Gläubigers mit dem angefochtenen Beschluss gem. § 850c Abs. 4 ZPO angeordnet, dass die Ehefrau des Schuldners bei der Berechnung des unpfändbaren Teils des Arbeitseinkommens des Schuldners unberücksichtigt bleibt. Nach jener Vorschrift kann das Vollstreckungsgericht dies nach billigem Ermessen bestimmen, wenn die grundsätzlich unterhaltsberechtigte Person eigene Einkünfte hat. Das ist vorliegend der Fall, denn die Ehefrau des Schuldners verfügt nach den eigenen Angaben des Schuldners über eigenständige Einkünfte in Höhe von insgesamt 978,56 EUR monatlich (monatliche Altersrente von 518,39 EUR und monatliche Mieteinnahmen von 460,17 EUR).
Nichtberücksichtigung ist eine Ermessensentscheidung im Einzelfall
Nach der Rechtsprechung des BGH verbietet sich bei der von Gesetzes wegen nach billigem Ermessen zu treffenden Bestimmung des Vollstreckungsgerichts eine schematisierende Betrachtungsweise (BGH MDR 2005, 774; BGH MDR 2005, 1013; BGH FamRZ 2010, 123). Bei der Ermessensausübung hat das Gericht seine Entscheidung unter Abwägung der wirtschaftlichen Lage des Gläubigers und des Schuldners sowie der von ihm unterhaltenen Angehörigen zu treffen.
Berechnungsmodelle als Ausgangsbasis
Dabei können jedoch Pfändungsfreibeträge und Unterhaltstabellen Gesichtspunkte für die Ausübung des Ermessens geben. Eine einseitige Orientierung an bestimmten Berechnungsmodellen scheidet allerdings aus, weil sie dem Sinn von § 850c Abs. 4 ZPO widerspricht. Eine solche nur einseitige Orientierung an bestimmten Berechnungsgrößen liegt jedoch nicht vor, wenn diese lediglich als Basis im Rahmen der nach § 850c Abs. 4 ZPO zu treffenden Ermessensentscheidung herangezogen werden. Denn das Zwangsvollstreckungsverfahren ist nach dem gesetzgeberischen Willen auch praktikabel zu gestalten. Ermessensfehlerhaft ist es lediglich, dieselbe Berechnungsformel unterschiedslos auf verschiedenartige Fallgestaltungen anzuwenden.
Fast 1.000 EUR Einkommen führt zur Nichtberücksichtigung
Unter Berücksichtigung dieser Grundsätze vermag der Senat keine Ermessensfehler des Landgerichts bei seiner Entscheidung, die Ehefrau des Schuldners bei der Berechnung des unpfändbaren Teils des Arbeitseinkommens unberücksichtigt zu lassen, zu erkennen. Vielmehr entspricht es auch zur Überzeugung des Senats unter Abwägung der beiderseitigen Interessen billigem Ermessen, die Ehefrau des Schuldners, die eigene Einkünfte in Höhe von monatlich insgesamt 978,56 EUR hat, entsprechend unberücksichtigt zu lassen. Dabei kann hier offen bleiben, ob es – zu Lasten der Interessen des Gläubigers – bei einem Unterhaltsberechtigten mit eigenständigem Haushalt regelmäßig billigem Ermessen entsprechen wird, als Orientierungshilfe den Grundfreibetrag des § 850c Abs. 1 S. 1 ZPO zugrunde zu legen und hiervon gewisse Abstriche zu machen, soweit der Unterhaltsberechtigte – wie hier – mit dem Schuldner in einem gemeinsamen Haushalt lebt. Da der Grundfreibetrag gem. § 850c Abs. 1 S. 1 ZPO aktuell 1.028,89 EUR beträgt und die eigenen Einkünfte der Ehefrau des Schuldners diesen Betrag annähernd erreichen, erscheint es dem Senat schon deshalb gerechtfertigt, die Ehefrau des Schuldners unberücksichtigt zu lassen, da anderenfalls die Interessen des Gläubigers über Gebühr beeinträchtigt wären.
Nichts anderes gilt bei unterhaltsrechtlicher Betrachtung
Wenn in solchen Fällen bei der Berechnung des Freibetrages des Unterhaltsberechtigten die nach den sozialrechtlichen Regelungen die Existenzsicherung gewährleistenden Sätze herangezogen werden (BGH MDR 2009, 1004), führt dies vorliegend – erst recht – zum gleichen Ergebnis. Bei einer Orientierung an den sozialrechtlichen Regelungen ist dabei zwar im Rahmen der Ermessensausübung in Würdigung aller Umstände des Einzelfalls ein Zuschlag vorzunehmen, da die Pfändungsfreigrenzen dem Schuldner und seinen Unterhaltsberechtigten nicht nur das Existenzminimum sichern wollen, sondern eine deutlich darüber liegende Teilhabe am Arbeitseinkommen erhalten bleiben muss. Insoweit erscheint ein Zuschlag in einer Größenordnung von 30 % bis 50 % der Rechtsprechung des BGH folgend regelmäßig gerechtfertigt zu sein. Im Hinblick auf den seit dem 1.1.2012 geltenden Regelbedarf gem. §§ 20 SGB II, 28 SGB XII in Höhe von 337,00 EUR führt auch ein Zuschlag von 50 %, also im obersten Bereich des vom BGH für angemessen erachteten Rahmens, nicht dazu, dass die Gesamteinkünfte der Ehefrau des Schuldners auch nur annähernd erreicht werden. Vielmehr lassen die Einkünfte der Ehefrau des Schuldners Raum für einen Zuschlag in Höhe von annähernd 200 %, ohne dass die Entscheidung gem. § 850c Abs. 4 ZPO anders auszufall...