I. Das Problem
Schuldner steht wohl vor der Kündigung
Der Gläubiger betreibt die Zwangsvollstreckung gegen den Schuldner aus einem Vollstreckungsbescheid. Der Schuldner hat sich jetzt gemeldet und dabei mitgeteilt, dass er nicht zahlen könne, weil sein Arbeitgeber ihm wohl kündigen werde. Er verfüge dann nicht über ausreichende Mittel, um die Forderung ganz oder teilweise zu bedienen. Im Laufe des Gespräches konnte ich in Erfahrung bringen, wer der Arbeitgeber des Schuldners ist. Meiner Ansicht nach ist nicht ausgeschlossen, dass der Schuldner eine Abfindung erhält, wenn er freiwillig ausscheidet. Welche Möglichkeiten habe ich, auf die Abfindung jetzt zuzugreifen?
II. Die Lösung
Gesetzliche oder vertragliche Abfindungen
Abfindungen sind im Arbeitsleben ein adäquates Instrument, um zu einer einvernehmlichen Beendigung des Arbeitsverhältnisses zu kommen und eine Kündigungsschutzklage zu vermeiden. Auch bei streitigen Auseinandersetzungen um eine Kündigung ist die Abfindung häufig das Mittel der Wahl, wenn eine Weiterbeschäftigung ernsthaft nicht mehr in Betracht kommt. In Betracht kommt eine Abfindung aufgrund gesetzlicher oder vertraglicher Vereinbarung. Gesetzliche Regelungen finden sich etwa
▪ |
in §§ 9, 10 KschG – in Abhängigkeit vom Lebensalter und der Dauer des Beschäftigungsverhältnisses werden bis zu 12, 15 oder 18 Monatsgehälter als Abfindung vorgesehen, |
▪ |
in §§ 112, 113 BetrVG, |
▪ |
in § 21 BeamtVG oder |
▪ |
in §§ 9, 48 des Wehrsoldgesetzes (WSG). |
Hinweis
In der Praxis ist häufig die Regelung anzutreffen, dass pro Beschäftigungsjahr ein halbes Nettomonatsgehalt als Abfindung gezahlt wird. Im Rahmen von Sozialplänen sind jedoch auch weit höhere Abfindungsbeträge zu erlangen. Häufig werden dabei nur Gruppen von Arbeitnehmern nach einer Mehrzahl von Komponenten gebildet, die dann jeweils einen einheitlichen, zum Teil erheblichen Abfindungsbetrag erhalten. Das gilt gerade beim Arbeitsplatzabbau großer Unternehmen.
Pfändung als Arbeitseinkommen
Abfindungen anlässlich der Beendigung des Arbeitsverhältnisses sind in § 850 ZPO nicht ausdrücklich als Arbeitseinkommen genannt. Dort werden nur Abfindungen wegen Wettbewerbsbeschränkungen erfasst. Trotzdem werden nach der herrschenden Meinung Abfindungen von der Pfändung des Arbeitseinkommens erfasst (BGH FoVo 2010, 191; BAG NJW 2015, 107; Zöller/Herget, ZPO, 32. Aufl. 2018, § 850 Rn 12; Smid, in: Münchner Kommentar zur ZPO, 5. Aufl. 2016, § 850 Rn 21; Musielak/Voit, ZPO, 14. Aufl. 2017, § 850 Rn 5). Dass die Abfindung nach § 850 Abs. 4 ZPO mitgepfändet wird, kann ausdrücklich klargestellt werden:
Pfändungsschutz nach § 850i ZPO
Die Abfindung stellt kein regelmäßig wiederkehrendes Arbeitseinkommen dar, weshalb Pfändungsschutz nicht nach § 850c ZPO gewährt wird, sondern nur nach § 820i ZPO.
Hinweis
Das Besondere daran ist, dass nunmehr der Schuldner tätig werden muss, um Pfändungsschutz zu erlangen. Er muss einen gesonderten Antrag stellen.
Werden nicht wiederkehrend zahlbare Vergütungen für persönlich geleistete Arbeiten oder Dienste oder sonstige Einkünfte, die kein Arbeitseinkommen sind, gepfändet, so hat das Gericht dem Schuldner auf Antrag während eines angemessenen Zeitraums so viel zu belassen, wie ihm nach freier Schätzung des Gerichts verbleiben würde, wenn sein Einkommen aus laufendem Arbeits- oder Dienstlohn bestünde. Bei der Entscheidung sind die wirtschaftlichen Verhältnisse des Schuldners, insbesondere seine sonstigen Verdienstmöglichkeiten, frei zu würdigen. Der Antrag des Schuldners ist insoweit abzulehnen, als überwiegende Belange des Gläubigers entgegenstehen.
Der Unterhaltszeitraum ist zu bestimmen
Nach der Angleichung von § 850c ZPO ist lediglich zu bestimmen, für wie viele Monate der Schuldner auf die Abfindung angewiesen ist, um seinen Lebensunterhalt zu bestreiten, wann also wieder mit der Aufnahme eines neuen Arbeitsverhältnisses gerechnet werden kann. Das ist vor allem eine Frage des Einzelfalls und kann nicht abstrakt beantwortet werden.
Hinweis
Ändern sich die ursprünglich angenommenen Voraussetzungen, etwa weil der Schuldner unmittelbar Arbeit findet, so kann das Gericht den pfändungsfreien Betrag nach § 850g ZPO auf Antrag des Gläubigers auch neu festsetzen.
Für den so ermittelten Zeitraum erhält der Schuldner dann die gleichen Beträge pfändungsgeschützt, wie sie sich in einem Arbeitsverhältnis nach § 850c ZPO ergeben würden. Der überschießende Betrag steht dem Schuldner zu.
Hinweis
Angesichts des guten Arbeitsmarktes wird der Zeitraum umso geringer ausfallen müssen, je besser der Schuldner ausgebildet ist. Besondere Belange des Gläubigers, die den Zeitraum weiter verkürzen können, sind der eigene Unterhaltsbedarf oder auch die Herkunft der Forderung aus vorsätzlich begangener unerlaubter Handlung.
Andere Einkünfte des Schuldners nicht vergessen
Der Gläubiger muss sehen und im Rahmen seiner Anhörung gegenüber dem Gericht deutlich machen, dass der Schuldner seinen Unterhaltsbedarf möglicherweise nicht nur aus der Abfindung decken muss, sondern über weiteres Einkommen verfügt oder ALG II e...