Catharina von Hertzberg, Dr. iur. Felix Odersky
a) Ermessensspielraum
Rz. 60
Bei der Auswahl, Kombination und konkreten Ausgestaltung dieser Regelungsmöglichkeiten hat das Gericht einen sehr weiten Ermessensspielraum, für den folgende gesetzliche und richterrechtliche Leitlinien maßgeblich sind. Anders als in Deutschland gibt es jedoch keine Tendenz, durch einheitliche Tabellen und Leitlinien eine Vereinheitlichung oder bessere Vorhersehbarkeit der Anordnungen zu erreichen. Die Beratung in Scheidungsfolgenangelegenheiten bedarf daher einer großen praktischen Erfahrung und ist auch dann mit erheblichen Unsicherheiten verbunden.
b) Gesetzliche Ermessensfaktoren
Rz. 61
Gemäß s. 25 (1) MCA 1973 ist oberstes Gebot bei jeder Ermessensentscheidung, neben der Berücksichtigung aller Umstände des Einzelfalls besonders auf das Wohlergehen minderjähriger Kinder der Familie zu achten. Daneben hat das Gericht gem. s. 25 (2) MCA 1973 bei jeder Scheidungsfolgenregelung folgende Umstände des Einzelfalls in seine Billigkeitserwägungen einzubeziehen.
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Das derzeitige Einkommen, die Fähigkeit und Wahrscheinlichkeit, künftig Einkommen zu erzielen, die Eigentumsverhältnisse und die sonstigen Vermögensverhältnisse jedes Ehegatten. Bei den finanziellen Mitteln werden auch solche Vermögenswerte einbezogen, die ein Ehegatte in die Ehe eingebracht oder geerbt hat; es können sogar wahrscheinliche, künftige Erbschaften angemessen berücksichtigt werden. |
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Die finanziellen Bedürfnisse und Verpflichtungen, die jeder Ehegatte in nachvollziehbarer Weise hat bzw. voraussichtlich haben wird. Diesem Merkmal kommt insbesondere dann große Bedeutung zu, wenn keine großen Vermögen zu verteilen sind, sondern vorrangig der angemessene Lebensunterhalt und die Wohnbedürfnisse beider Ehegatten sicherzustellen sind. |
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Der gemeinsame Lebensstandard, den die Ehegatten vor der Trennung hatten. |
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Das Alter der Parteien und die Dauer ihrer Ehe. Das Alter kann insbesondere Einfluss darauf haben, ob und welche Erwerbstätigkeit man noch billigerweise erwarten kann. Die Dauer der Ehe ist mittlerweile ein wichtiger Faktor für den Umfang der wechselseitigen Vermögensverteilung. |
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Etwaige geistige oder körperliche Behinderungen eines Ehegatten. |
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Die Beiträge jedes Ehegatten zum Familienwohl, wozu ausdrücklich auch die Haushaltsführung und Kindererziehung zählen. |
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Das Verhalten eines Ehegatten, wenn dieses (ausnahmsweise) nach Meinung des Gerichts billigerweise nicht außer Acht gelassen werden darf. |
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Etwaige finanzielle Nachteile, die ein Ehegatte durch die Scheidung haben kann (z.B. Verlust einer Witwenpension, aber auch Kosten und Steuern infolge der Scheidung). |
Rz. 62
Mit Ausnahme des besonders hervorgehobenen Kindeswohls gibt es keine Rangfolge innerhalb dieser Merkmale, so dass das Gericht grundsätzlich allen Merkmalen gleiche Berücksichtigung schenken muss.
c) Clean Break Approach
Rz. 63
Bei der Ausübung seines Ermessens soll das Gericht ferner nach s. 25A MCA 1973 besonders prüfen, ob nicht eine endgültige Regelung der finanziellen Angelegenheiten der Ehegatten erreichbar ist. Mit den sog. Clean Break-Anordnungen, die in der Praxis immer häufiger getroffen werden, soll den Ehegatten der psychologisch wichtige "Schlussstrich" mit der Folge einer wechselseitigen Unabhängigkeit und der Planbarkeit der jeweils eigenen finanziellen Zukunft ermöglicht werden. Sofern die Vermögensverhältnisse der Beteiligten dies ermöglichen, sind daher Vermögensübertragungen und einmalige Ausgleichszahlungen (ggf. auch mit einem bestimmten Ratenplan) der Anordnung laufender Unterhaltszahlungen vorzuziehen. Sofern Letzteres zunächst erforderlich erscheint, z.B. weil der finanzielle Bedarf eines Kinder erziehenden Ehegatten in Zukunft noch nicht sicher abzusehen ist oder weil keine ausgleichfähigen Vermögenswerte vorhanden sind, soll das Gericht die Unterhaltszahlungen in der Regel auf die voraussichtlich erforderliche Zeit befristen. Im Einzelfall kann es ferner bestimmen, dass nach Ablauf der Frist kein Verlängerungsantrag gestellt werden darf oder kein Abänderungsantrag mehr möglich ist.
d) Gerichtliche Leitlinien
Rz. 64
Die Anwendung dieser gesetzlichen Vorgaben in der Praxis wird erheblich durch Präzedenzurteile der Obergerichte bestimmt, wobei sich die höchstrichterliche ...