Leitsatz
Das Gebot eines fairen Verfahrens erfordert es nicht, dass das angegangene Berufungsgericht unmittelbar nach Eingang einer Berufungsschrift seine Zuständigkeit prüft, um diesbezügliche Fehler des Rechtsmittelführers ausgleichen zu können.
Sachverhalt
Die Klägerin hat ihren Sitz auf der Insel Jersey. Nach Zustellung eines klageabweisenden Urteils hat sie durch ihre Prozessbevollmächtigten Berufung eingelegt. Nach Eingang der Berufungsbegründung hat der Vorsitzende der Berufungskammer beim LG die Klägerin darauf hingewiesen, dass das OLG zuständig sein dürfte, da sie ihren allgemeinen Gerichtsstand im Zeitpunkt der Rechtshängigkeit in erster Instanz außerhalb des Geltungsbereichs des GVG gehabt habe. Ein mit einer erneuten Berufung zum OLG verbundener Wiedereinsetzungsantrag blieb erfolglos.
Entscheidung
Da die Klägerin ihren allgemeinen Gerichtsstand im Zeitpunkt des Eintritts der Rechtshängigkeit in erster Instanz außerhalb des Geltungsbereichs des GVG, nämlich auf der Insel Jersey, hatte, war für die Berufung das OLG zuständig, bei dem das Rechtsmittel unstreitig verspätet eingegangen ist. Diese Verspätung war durch den Rechtsbeistand verschuldet, so dass Wiedereinsetzung nicht gewährt werden konnte. Diese Einschätzung verstößt nicht gegen den Anspruch auf ein faires Verfahren.
Die Abgrenzung dessen, was im Rahmen einer fairen Verfahrensgestaltung an richterlicher Fürsorge von Verfassungs wegen geboten ist, darf sich nicht nur am Interesse der Rechtsuchenden an einer möglichst weitgehenden Verfahrenserleichterung orientieren, sondern muss auch berücksichtigen, dass die Justiz im Interesse ihrer Funktionsfähigkeit vor zusätzlicher Belastung geschützt werden muss. Insbesondere müssen die Beteiligten den "richtigen" Adressaten fristgebundener Verfahrenserklärungen regelmäßig selbst ermitteln und korrekt benennen. Ein Gericht, bei dem das Verfahren anhängig gewesen ist, ist in diesem Zusammenhang gehalten, fristgebundene Schriftsätze an das zuständige Rechtsmittelgericht weiterzuleiten. Ist ein solcher Schriftsatz so zeitig eingereicht worden, dass die fristgerechte Weiterleitung an das Rechtsmittelgericht im ordentlichen Geschäftsgang ohne weiteres erwartet werden kann, wirkt sich ein Verschulden der Partei oder ihres Prozessbevollmächtigten nicht mehr aus, so dass Wiedereinsetzung zu gewähren ist. Ob diese Grundsätze auch dann gelten, wenn der Schriftsatz bei einem unzuständigen Gericht eingeht, hat die Rechtsprechung bislang noch nicht entschieden. Auch der BGH hat die Frage jetzt offengelassen. Denn hier wurde der Vorgang dem Kammervorsitzenden erstmals zu einem Zeitpunkt vorgelegt, als die Berufungsfrist bereits abgelaufen war.
Die Prüfung der Zulässigkeit der Berufung, zu der auch die Zuständigkeit des Gerichts gehört, ist nach § 522 ZPO zwar Aufgabe des Richters. Das Gebot eines fairen Verfahrens erfordert aber nicht, dass das Berufungsgericht unmittelbar nach Eingang einer Berufungsschrift seine Zuständigkeit prüft, um Fehler des Rechtsmittelführers ausgleichen zu können. Das Gericht kann vielmehr mit der Prüfung seiner Zuständigkeit warten, bis die Akten – etwa wie hier zur Terminierung – ohnehin vorgelegt werden.
Link zur Entscheidung
BGH-Beschluss vom 5.10.2005, VIII ZB 125/04