Entscheidungsstichwort (Thema)
Vorläufiger Rechtsschutz gegen die Rücknahme einer aufgrund falscher Angaben erlangten Aufenthaltsgenehmigung
Leitsatz (amtlich)
1. Hat die Ausgangsbehörde die Rücknahme einer Aufenthaltsgenehmigung wegen falscher Angaben über den Bestand einer ehelichen Lebensgemeinschaft auf die zuletzt erteilte Aufenthaltsgenehmigung beschränkt, ist die Widerspruchsbehörde nicht durch die Begrenzung auf den Verfahrensgegenstand des Widerspruchsverfahrens gehindert, die Rücknahme auf sämtliche vorangegangenen Aufenthaltsgenehmigungen zu erstrecken, die dem Widerspruchsführer aus demselben Grund fehlerhaft erteilt wurden.
Der Anwendungsbereich einer verfahrensrechtlich zulässigen reformatio in peius wird zu eng bestimmt, wenn zur Abgrenzung des Verfahrensgegenstandes allein auf die im Ausgangsbescheid getroffene Regelung und nicht auch auf den Gegenstandsbereich abgestellt wird, auf den diese sich bezieht.
2. Bei bestehender Identität von Ausgangs- und Widerspruchsbehörde ist die Widerspruchsbehörde wegen der übereinstimmenden sachlichen Zuständigkeit nicht auf die Zurückweisung des unbegründeten Widerspruchs beschränkt.
3. Der Versagungsgrund des § 8 Abs. 1 Nr. 1 AuslG greift nicht mehr ein, wenn der Ausländer nach einer Einreise ohne das erforderliche Visum bereits eine Aufenthaltsgenehmigung für einen entsprechenden Zweck erhalten hat. § 8 Abs. 1 Nr. 1 AuslG ist indes anwendbar, wenn die erteilte Aufenthaltsgenehmigung wegen falscher Angaben mit Wirkung für die Vergangenheit zurückgenommen worden ist.
Verfahrensgang
VG Hamburg (Beschluss vom 20.11.2003) |
Tenor
Auf die Beschwerde der Antragsgegnerin wird der Beschluss des Verwaltungsgerichts Hamburg vom 20. November 2003 geändert. Der Antrag der Antragsteller, die aufschiebende Wirkung ihrer Klage vom 18. Oktober 2002 (8 VG 4480/2002) wiederherzustellen, wird abgelehnt.
Die Antragsteller tragen die Kosten des gesamten Verfahrens.
Der Streitwert wird für das Beschwerdeverfahren auf 3.000,– Euro festgesetzt.
Tatbestand
A. Die Antragsteller wenden sich gegen die Rücknahme der ihnen erteilten Aufenthaltserlaubnisse und begehren die Wiederherstellung der aufschiebenden Wirkung der erhobenen Klage.
Die am 27. Februar 1973 geborene Antragstellerin zu 1) ist jugoslawische Staatsangehörige. Sie reiste mit ihren Eltern im April 1991 in die Bundesrepublik Deutschland ein und beantragte Asyl. Dieses und ein weiteres Asylbegehren vom April 1995 blieben erfolglos. – Am 13. Februar 1992 heiratete die Antragstellerin zu 1) in Hamburg den jugoslawischen Staatsangehörigen T. Aus der Ehe gingen zwei Kinder, die Antragsteller zu 2) und zu 3), hervor. Die Antragstellerin zu 2) wurde am 30. April 1992 in B. geboren, der Antragsteller zu 3) kam am 3. Dezember 1993 in Hamburg zur Welt. Die Ehe wurde im Januar 1994 geschieden. Am 18. August 1994 heiratete die Antragstellerin zu 1) in Hamburg den deutschen Staatsangehörigen P.. Diese Ehe wurde im Dezember 1994 geschieden. Am 15. Juni 1995 heiratete die Antragstellerin zu 1) den deutschen Staatsangehörigen Ma.. Die Ehe mit Herrn Ma. wurde am 19. Juli 2002 geschieden. Seit dem 22. November 2002 ist die Antragstellerin zu 1) mit dem deutschen Staatsangehörigen Mi. verheiratet.
Die Antragstellerin zu 1) erhielt am 8. August 1995 auf ihren Antrag vom 22. Juni 1995 eine auf ein Jahr befristete Aufenthaltserlaubnis. Die Aufenthaltserlaubnis wurde am 9. August 1996 bis zum 8. August 1997 und am 5. August 1997 bis zum 4. August 2000 verlängert. Die Antragstellerin zu 1) unterschrieb jeweils eine Erklärung, wonach sie darauf hingewiesen worden war, dass ihr die Aufenthaltserlaubnis nur aufgrund der Eheschließung mit Herrn Ma. erteilt wurde und sie grundsätzlich nur dann mit einer Verlängerung rechnen kann, wenn die Ehe weiterhin besteht und sie mit ihrem Ehemann zusammenlebt. – Am 29. September 1999 erteilte die Antragsgegnerin der Antragstellerin zu 1) auf den Antrag vom 13. August 1999 hin eine unbefristete Aufenthaltserlaubnis.
Herr Ma. erstattete unter dem Datum des 28. Oktober 1999 bei der Antragsgegnerin eine „Selbstanzeige wegen Schein-Ehe”. Er erklärte darin, mit der Antragstellerin zu 1) im Juni 1995 eine Scheinehe eingegangen zu sein, und stellte in einer „Erläuterung” die Umstände der Eheschließung sowie das Verhalten gegenüber der Ausländerbehörde dar. Der Verfahrensbevollmächtigte der Antragstellerin zu 1) legte der Antragsgegnerin eine eidesstattliche Versicherung vom 11. November 1999 vor, in der Herr Ma. die vorgenannte Erklärung widerrief. – Das Amtsgericht Hamburg (142 Ds 146/01) verurteilte Herrn Ma. und die Antragstellerin zu 1) am 23. Mai 2001 wegen Verstoßes gegen das Ausländergesetz – unrichtige Angaben zur Beschaffung einer Aufenthaltsgenehmigung (§ 92 Abs. 2 Nr. 2 AuslG) – jeweils zu einer Gesamtgeldstrafe von 60 Tagessätzen. Das Urteil ist hinsichtlich der Antragstellerin zu 1) rechtskräftig. Als Taten abgeurteilt wurden die Angaben gegenüber der Antragsgegnerin am 11. August 1999 und 29. September 1999, in der...