Leitsatz (amtlich)
1. Die Annahme der Vollzugseinrichtung, ein durch einen Schlaganfall in seinem Sprachvermögen ganz erheblich eingeschränkter vornotierter Strafgefangener sei "therapieunwillig", bedarf eingehender gerichtlicher Aufklärung, dies insbesondere auch dann, wenn dem Gericht aufgrund der beschriebenen Störung die Kommunikation mit dem Sicherungsverwahrten im Anhörungstermin nicht möglich war.
2. Der "Betreuungsauftrag" des § 66c Abs. 1 Nr. 1 StGB schließt medizinische Behandlungen jedenfalls dann ein, wenn sie zur Durchführung von psychiatrischen Behandlungen, insbesondere von Therapiegesprächen erforderlich sind.
3. Zur Ersetzung einer richterlichen Unterschrift durch einen Abwesenheitsvermerk bei einer Entscheidung im Verfahren gemäß § 119a StVollzG.
4. Zur Zurückverweisung durch das Beschwerdegericht wegen erheblicher Verfahrensmängel.
Verfahrensgang
LG Berlin (Entscheidung vom 19.10.2017; Aktenzeichen 589 StVK 307/17) |
Tenor
Auf die Beschwerde des Verurteilten wird der Beschluss des Landgerichts Berlin - Strafvollstreckungskammer - vom 19. Oktober 2017, mit Ausnahme der Streitwertfestsetzung, aufgehoben.
Die Sache wird zu neuer Entscheidung - auch über die Kosten und Auslagen des Beschwerdeverfahrens - an die Strafvollstreckungskammer zurückverwiesen.
Gründe
I.
Das Landgericht Berlin verurteilte den mehrfach - auch einschlägig - vorbestraften Beschwerdeführer am 24. Januar 2014 wegen schweren sexuellen Missbrauchs von Kindern in zwei Fällen, in einem Fall davon in Tateinheit mit vorsätzlicher Körperverletzung, wegen sexuellen Missbrauchs von Kindern in zwei Fällen, in einem Fall davon in Tateinheit mit Sichverschaffen kinderpornografischer Schriften sowie wegen Besitzes jugendpornografischer Schriften zu einer Gesamtfreiheitsstrafe von sieben Jahren und ordnete die Sicherungsverwahrung an. Das Urteil ist seit dem 9. Oktober 2014 rechtskräftig.
Zurzeit verbüßt der Verurteilte noch Strafe. Der Beginn der Sicherungsverwahrung ist für den 13. Mai 2021 notiert. Vor Eintritt der Rechtskraft hatte der Verurteilte im Juli 2014 in der Haft einen Schlaganfall erlitten, mit dem erhebliche Ausfallerscheinungen einhergingen. Diese betrafen insbesondere auch sein Sprachvermögen, somit eine Fähigkeit, welche für die Durchführung einer therapeutischen Behandlung in aller Regel von großer Bedeutung ist.
Mit Beschluss vom 31. Januar 2017 hat das Landgericht Berlin - Strafvollstreckungskammer - festgestellt, dass die dem Verurteilten von der Vollzugsbehörde "im zurückliegenden Zeitraum" (gemeint war der Zeitraum vom 9. Oktober 2014 bis zum 8. Oktober 2016) angebotene Betreuung den gesetzlichen Anforderungen des § 66c Abs. 2 in Verbindung mit Abs. 1 Nr. 1 StGB entsprochen habe und den Streitwert auf 2.500 Euro festgesetzt. Auf die Beschwerde des Verurteilten hat der Senat diese Entscheidung der Strafvollstreckungskammer einschließlich der Streitwertfestsetzung mit seinem Beschluss vom 28. April 2017 wegen gravierender Aufklärungsmängel aufgehoben. Auf die Gründe dieses Beschlusses wird ergänzend Bezug genommen.
Der Senat hat in diesem Zusammenhang ausgeführt, dass die Strafvollstreckungskammer maßgebliche Grundlagen für die Entscheidung über die Frage, ob dem Beschwerdeführer eine den Anforderungen des § 66c Abs. 1 und 2 StGB entsprechende Behandlung angeboten worden ist und er diese lediglich aus einer von ihm zu verantwortenden Verweigerungshaltung nicht wahrgenommen hat, nicht ermittelt hat. Die Strafvollstreckungskammer hatte sich weitestgehend auf eine bloße Wiedergabe des lückenhaften Akteninhalts beschränkt und war damit ihrer Pflicht zu einer eigenständigen Ermittlung, Würdigung und Darstellung der tatsächlichen Grundlagen für die Entscheidung nicht nachgekommen. Der Senat hatte zudem darauf hingewiesen, dass schon angesichts der komplexen Problemlage, die sich durch eine Verflechtung der im Urteil festgestellten psychiatrischen Befunde mit den Folgen des nach dem Urteil in der Haft erlittenen Schlaganfalls ergebe, die Hinzuziehung eines Sachverständigen für die Beurteilung der Vollzugsgestaltung unabdingbar sei. Auch zur Rekonstruktion des Behandlungsverlaufs und der Feststellung des gesundheitlichen Zustandes des Verurteilten gebiete die Aufklärungspflicht gemäß § 244 Abs. 2 StPO die Hinzuziehung eines medizinischen Sachverständigen, naheliegend eines Neurologen.
Im Hinblick auf die aus seiner Sicht schweren Verfahrensmängel hat der Senat die Sache in Übereinstimmung und unter Berufung auf entsprechende obergerichtliche Rechtsprechung und diesbezügliche Literatur (vgl. jeweils bei juris: OLG Hamm, Beschluss vom 26. November 2015 - III-1 Vollz (Ws) 525/15 -; KG, Beschluss vom 21. Februar 2017 - 5 Ws 44/17 -; weitergehend Matt in Löwe/Rosenberg, StPO, 26. Aufl., § 309 Rn. 12 bei fehlender Entscheidungsreife) an die Strafvollstreckungskammer zurückverwiesen und beispielhaft eine Reihe von aus seiner Sicht klärungsbedürftigen Fragen aufgezählt, die nur mit Hilfe eines medizinischen Sachverständigen verlässlich beant...