Leitsatz (amtlich)
Kollidiert ein Radfahrer auf einem gekennzeichneten Radweg, der rechts an einer Haltestelle des Linienverkehrs vorbeiführt und für die Fahrgäste einen für sie reservierten Bereich von bis zu 3 m vorsieht, mit einem Fahrgast, der gerade einen haltenden Bus verlassen hat, kommt wegen des Verstoßes gegen § 20 Abs. 2 StVO eine Haftungsverteilung von 80 % zu Lasten des Radfahrers in Betracht.
Verfahrensgang
LG Berlin (Aktenzeichen 44 O 192/13) |
Gründe
I. Die Klägerin nimmt den Beklagten auf Zahlung von Schmerzensgeld und Schadensersatz aus einem Unfall am 16.10.2012 in Berlin-Reinickendorf in Anspruch. Die Klägerin befuhr gegen 7 Uhr 30 mit ihrem Fahrrad den als solchen gekennzeichneten Radweg auf dem Kurt-Schumacher-Damm in südwestliche Richtung. Im Bereich der dort befindlichen Bushaltestelle verschwenkt der als solcher farblich gekennzeichnete Radweg in Fahrtrichtung etwas nach links. Ein Bus der Linie M 21 hielt an der Haltestelle. Mehrere Fahrgäste und u.a. der Beklagte verließen den Bus. Die Klägerin kollidierte auf dem Radweg mit dem Beklagten, stürzte und zog sich eine Fraktur des LWK 1 zu, wobei die näheren Umstände zwischen den Parteien streitig sind.
Das LG hat in der angegriffenen Entscheidung die Klage nach Beweisaufnahme mit der Begründung abgewiesen, dass die Klägerin entgegen § 20 StVO höchstens mit Schrittgeschwindigkeit rechts an den aussteigenden Fahrgästen und nur unter der Voraussetzung hätte vorbeifahren dürfen, dass die Fahrgäste weder behindert noch gefährdet werden. Wegen der Begründung im Einzelnen und des übrigen Tatbestandes wird auf das angefochtene Urteil verwiesen.
Gegen dieses Urteil hat die Klägerin form- und fristgerecht Berufung eingelegt. Sie wiederholt im Wesentlichen ihr erstinstanzliches Vorbringen und verfolgt mit der Berufung die erstinstanzlichen Klageanträge im vollen Umfang weiter.
II. Der Senat weist auf Folgendes hin:
1. Dem Grunde nach kommt eine Haftung des Beklagten aus § 823 Abs. 1 BGB wegen Verletzung von Körper und Gesundheit in Betracht. Er verletzte durch sein Verhalten am 16.10.2012 die Klägerin. Der Beklagte handelte rechtswidrig und schuldhaft, weil er entgegen § 25 Abs. 3 Satz 1 StVO den Radweg ohne Beachtung des Verkehrs betrat. Fahrbahnen im Sinne dieser Vorschrift sind auch Radwege (Heß in Burmann/Heß/Jahnke/Janker, StVR, 23. Aufl. 2014, § 25 StVO Rz. 10; LG Heidelberg, ZfSch 2004, 257 f.). Der Beklagte hätte nicht den Radweg betreten dürfen, ohne sich zuvor zu vergewissern, ob ein Radfahrer kommt.
2. Der Höhe nach beschränkt sich der im Antrag zu 1) geltend gemachte Schmerzensgeldanspruch auf 10.000 EUR. Dabei hat der Senat bei der im Hinblick auf § 253 Abs. 2 BGB zu treffenden Ermessensentscheidung berücksichtigt, dass die Klägerin operiert und 16 Tage stationär behandelt werden musste, fast vier Monate ihren Beruf als Fremdsprachensekretärin nicht ausüben konnte sowie die geplante, aber nicht durchgeführte Reise nach New York. Dies gilt zudem für die Empfindungsstörungen, die Narben im Bauchbereich und die geltend gemachten Schmerzen im Rücken. Zukünftige Beeinträchtigungen dieser Art sind freilich nicht in Ansatz zu bringen, weil die immateriellen Zukunftsschäden vom Feststellungsantrag zu 4) umfasst sind.
3. Die darüber hinaus im Antrag zu 2) verlangten 153,40 EUR stehen der Klägerin nicht zu.
Nach ständiger obergerichtlicher Rechtsprechung, der sich der Senat anschließt, stellt eine verletzungsbedingt entgangene Nutzungsmöglichkeit von Vermögenswerten (hier: des Nutzungsanspruchs gegen die Technische Universität Berlin wegen des Hochschulsports i.H.v. 83 EUR) keinen ersatzfähigen Schaden i.S.v. § 249 BGB dar (BGH, Urt. v. 15.12.1970 - VI ZR 120/69 - Rz. 11 ff., zitiert nach Juris, BGHZ 55, 146 ff.; Küppersbusch/Höher, Ersatzansprüche bei Personenschäden, 11. Aufl., Rz. 215). Das gilt auch, wenn fortlaufende Vermögensaufwendungen des Geschädigten für einen vorübergehenden Zeitraum nutzlos werden (BGH - VI ZR 120/69 -, a.a.O., Rz. 18 ff., zitiert nach Juris; Küppersbusch/Höher, a.a.O., Rz. 219).
Im Ergebnis trifft dies auch auf die nutzlos aufgewendeten 70,40 EUR für den City-Pass für die geplante Reise nach New York zu. Aus unerlaubter Handlung hat ein Geschädigter einen Anspruch auf Entschädigung wegen eines geplanten, aber unfallbedingt nicht durchgeführten Urlaubs nicht zu beanspruchen (BGH NJW 1983, 1107 f.). Derartige Beeinträchtigungen sind vielmehr im Rahmen der Bemessung der Höhe des Schmerzensgeldanspruches - wie hier geschehen - zu berücksichtigen.
4. Bei einem danach zutreffend ermittelten vorgerichtlichen Streitwert von insgesamt 12.000 EUR - 10.000 EUR Schmerzensgeld und nach § 3 ZPO auf 2.000 EUR geschätzten Wert des Feststellungsantrages zu 4) - schuldet die Klägerin ihrem Anwalt insgesamt 958,19 EUR (1,3 fache Gebühr von 604 EUR = 785,20 EUR + 20 EUR + 152,99 EUR Mehrwertsteuer) und nicht die verlangten 961,28 EUR.
5. Der zu 4) angekündigte Feststellungsantrag dürfte im Hinblick auf § 256 Abs. 1 ZPO zulässig und begründet se...