Entscheidungsstichwort (Thema)
Darlegen eines wichtigen Grundes für die außerordentliche Kündigung eines Beschäftigten durch den Arbeitgeber
Leitsatz (redaktionell)
Die Teilnahme an einem rechtswidrigen Streik außerhalb der Arbeitszeit des Arbeitnehmers kann grundsätzlich eine Verletzung der Pflicht zur Rücksichtnahme auf die Interessen des Arbeitgebers gemäß § 241 Abs. 2 BGB darstellen. Die Umdeutung einer nach § 626 Abs. 1 BGB unwirksamen Kündigung in eine ordentliche Kündigung ist nach § 140 BGB in Betracht zu ziehen, wenn dies dem mutmaßlichen Willen des Kündigenden entspricht und dieser Wille dem Kündigungsempfänger im Zeitpunkt des Kündigungszugangs auch erkennbar ist. Der Arbeitgeber ist nach § 612a BGB nicht berechtigt, einen Arbeitnehmer bei einer Maßnahme zu benachteiligen, weil dieser in zulässiger Weise seine Rechte ausübt. § 6 S. 1 KSchG bietet dem Arbeitnehmer die Möglichkeit, auch nach Fristablauf des § 4 KSchG noch andere Unwirksamkeitsgründe in den Prozess einzuführen, auf die er sich zunächst nicht berufen hat.
Normenkette
BGB § 626 Abs. 1
Verfahrensgang
ArbG Berlin (Entscheidung vom 06.04.2022; Aktenzeichen 20 Ca 10285/21) |
Tenor
I. Die Berufung des Klägers gegen das Urteil des Arbeitsgerichts Berlin vom 6. April 2022 - 20 Ca 10258/21 - wird zurückgewiesen.
II. Die Anschlussberufung der Beklagten gegen das Urteil des Arbeitsgerichts Berlin vom 6. April 2022 - 20 Ca 10258/21 - wird zurückgewiesen.
III. Die Kosten des Rechtsstreits II. Instanz hat der Kläger zu tragen.
IV. Die Revision wird nicht zugelassen.
Tatbestand
Die Parteien streiten über die Wirksamkeit einer außerordentlichen sowie einer ordentlichen Kündigung, einen Betriebsübergang und die Weiterbeschäftigung des Klägers.
Mit Vertrag vom 23. Juni 2021 wurde der Kläger von der A GmbH mit Wirkung vom 24. Juni 2021 befristet bis zum 23. Juni 2022 als Rider eingestellt.
Mit Wirkung vom 1. Oktober 2021 ging das Arbeitsverhältnis im Rahmen eines Betriebsübergangs auf die A GmbH & Co. KG, die Beklagte zu 1), über.
Die Beklagte zu 1) betrieb im Oktober 2021 einen Online-Vertrieb für Lebensmittel. Die Lebensmittel, die von den Kunden per App bestellt werden können, werden in verschiedenen B gelagert und von Fahrern (sogenannten Ridern) per Fahrrad an die Kunden ausgeliefert. Der Kläger war im B als Rider tätig.
Am 1., 2. und 4. Oktober 2021 streikten unter anderem Fahrer vor dem B.
Am 1. Oktober 2021 wurde das B gegen 14:00 Uhr geschlossen, der Kläger war an diesem Tag ab 19:00 Uhr zur Arbeit eingeteilt.
Am 2. Oktober 2021 wurde das B um 17:00 Uhr aufgrund des Streiks geschlossen, der Kläger war an diesem Tag ab 20:00 Uhr zur Arbeit eingeteilt.
Der Kläger war vom 4. Oktober 2021 bis 8. Oktober 2021 arbeitsunfähig erkrankt (Arbeitsunfähigkeitsbescheinigung vom 4. Oktober 2021, Anlage K 3, Bl. 50 d. A.).
Mit Schreiben vom 4. Oktober 2021 kündigte die Beklagte zu 1) das Arbeitsverhältnis der Parteien außerordentlich aus wichtigem Grund fristlos.
Mit E-Mail vom 11. Oktober 2021 wandte sich der Kläger an die Beklagte. Dort heißt es:
"Dear Rider Support,
I haven't received my shifts for this week yet. And i wanted to work. So kindly avail me with my shifts as soon as possible."
Die Beklagte zu 1) antwortete dem Kläger mit E-Mail vom selben Tag. Dort heißt es auszugsweise:
"We have tried to reach out multiple times via phone last week but have unfortunately not been successful.
It was via this way that we wanted to inform you that we have taken the difficult decision to terminate your contract with immediate effect due to your participation in the strike on ..."
Die Beklagte zu 1) kündigte das Arbeitsverhältnis der Parteien mit Schreiben vom 28. Oktober 2021 vorsorglich ordentlich zum 15. November 2021.
Mit Wirkung vom 16. November 2021 ging der von der Beklagten zu 1) im B geführte Betrieb auf die Beklagte zu 2) über.
Mit seiner beim Arbeitsgericht Berlin am 13. Oktober 2021 eingegangenen, mit Schriftsätzen vom 1. November 2021, 17. November 2021 und 25. Januar 2022 erweiterten Klage hat sich der Kläger unter anderem gegen eine Beendigung seines Arbeitsverhältnisses durch diese Kündigungen gewandt.
Er hat die Ansicht vertreten, ein wichtiger Grund für die außerordentliche Kündigung liege nicht vor. Die ordentliche Kündigung verstoße gegen das Maßregelungsverbot. Er hat zunächst vorgetragen, an einem gewerkschaftlich nicht organisierten Streik teilgenommen zu haben. Er habe bei dem ihm vorgeworfenen Verhalten lediglich in zulässiger Weise seine Rechte ausgeübt.
Der Kläger hat nach Rücknahme der Klage im Übrigen zuletzt beantragt
- festzustellen, dass das Arbeitsverhältnis zwischen den Parteien durch die mit Schreiben vom 4. Oktober 2021 ausgesprochene Kündigung der Beklagten zu 1) weder fristlos außerordentlich noch fristgemäß ordentlich aufgelöst worden ist;
- festzustellen, dass das Arbeitsverhältnis zwischen den Parteien durch die mit Schreiben vom 28. Oktober 2021 ausgesprochene Kündigung der Beklagten zu 1) zum 15. November 2021 nicht ordentlich aufgelöst worden ist;
- festz...