Entscheidungsstichwort (Thema)
Umfang der wöchentlichen Arbeitszeit im Bereich der Volks- und Raiffeisenbanken. Unwirksame Bezugnahmeklausel bei Unklarheit über die arbeitsvertraglich in Bezug genommenen Tarifverträge
Leitsatz (amtlich)
1. Zur näheren Bestimmung des Kriteriums "vorübergehend" gemäß § 87 Abs. 1 Nr. 3 BetrVG kann auch auf Regelungen zurückgegriffen werden, die sozialrechtlich die Auszahlung von Kurzarbeitergeld betreffen, da diese Normen in einem engen sachlichen Zusammenhang stehen. Insofern ist ein überschaubarer Zeitraum jedenfalls dann nicht mehr eingehalten, wenn die Verkürzung der betriebsüblichen Arbeitszeit deutlich länger als 12 Monate erfolgen soll.
2. Existieren - wie hier - im fachlichen Geltungsbereich eines Flächentarifvertrages parallel zueinander mehrere Tarifverträge, die mit unterschiedlichen Gewerkschaften abgeschlossen werden, dann kann durch eine Öffnungsklausel gemäß § 77 Abs. 3 S. 2 BetrVG in einem dieser Tarifverträge nicht die geschützte Tarifautonomie hinsichtlich der nicht beteiligten Tarifpartner ausgehebelt werden mit der Folge, dass bei einem nicht tarifgebundenen Arbeitgeber dieser Gegenstand durch Betriebsvereinbarung geregelt werden könnte.
Normenkette
BGB § 613a Abs. 1 S. 1, § 307 Abs. 1 S. 2; BetrVG § 87 Abs. 1 Nr. 3; SGB III § 96 Abs. 1 Nr. 2, § 104 Abs. 1 S. 1; BetrVG § 77 Abs. 3 S. 2; BGB §§ 611a, 613a Abs. 1 S. 2
Verfahrensgang
ArbG Berlin (Entscheidung vom 12.09.2017; Aktenzeichen 34 Ca 6132/17) |
Tenor
I. Auf die Berufung der Klägerin wird das Urteil des Arbeitsgerichts Berlin vom 12.09.2017 - 34 Ca 6132/17 - teilweise abgeändert und wie folgt gefasst:
1. Es wird festgestellt, dass die Arbeitszeit der Klägerin im Zeitraum vom 01.07.2017 bis 31.12.2019 30 Stunden wöchentlich bei einer gleichmäßigen Verteilung auf die Arbeitstage der Woche (Montag bis Freitag jeweils 6 Stunden) beträgt.
2. Im Übrigen wird die Klage abgewiesen.
II. Die Kosten des Rechtsstreits haben die Klägerin zu 94 % und die Beklagte zu 6 % zu tragen.
III. Die Revision wird nicht zugelassen.
Tatbestand
Die Parteien streiten über den Umfang ihrer wöchentlichen Arbeitszeit, wobei zuletzt nur der Zeitraum 1.7.2017 - 31.12.2019 streitig ist.
Die Klägerin, die inzwischen unter einem anderen Namen verheiratet ist, war seit dem 26.06.1999 bei der B. V. beschäftigt. Im Arbeitsvertrag vom 22./30.06.1999 heißt es unter anderem:
"Der Tarifvertrag für die Volksbanken und Raiffeisenbanken sowie die genossenschaftlichen Zentralbanken und die Betriebsvereinbarungen für den Betrieb der B. V. eG sind Bestandteil dieses Vertrags."
Der Arbeitgeberverband der Deutschen Volksbanken und Raiffeisenbanken e.V. (AVR) schloss mit den Gewerkschaften HBV, DAG, DBV und DHV lange Zeit gleichlautende Tarifverträge. Der letzte gleichlautende Manteltarifvertrag, der dann schon mit der Gewerkschaft ver.di abgeschlossen wurde, stammte vom 08.07.2004. Die Klägerin war und ist Mitglied bei ver.di. Im Jahr 2009 erfolgte ein Betriebsteilübergang auf die hiesige Beklagte, von der die Klägerin betroffen war. Die Beklagte ist nicht Mitglied in einem Arbeitgeberverband. Der AVR kündigte den Manteltarifvertrag mit ver.di zum 28.02.2013.
Vor Rückkehr aus der Elternzeit schlossen die Parteien unter dem 20./27.06.2016 eine Vereinbarung, wonach die Arbeitszeit ab 01.10.2016 befristet bis 31.08.2022 sich auf 30 Stunden wöchentlich bei gleichmäßiger Verteilung auf die Arbeitstage der Woche (Montag bis Freitag jeweils 6 Stunden) reduziert. Weiterhin ist dort geregelt:
"In allen übrigen Punkten behält ihr Arbeitsvertrag seine Gültigkeit."
Unter dem 06.12.2016 einigte der AVR sich mit DBV und DHV auf einen neuen Manteltarifvertrag. Dieser lautet in § 19 unter anderem:
"5. Öffnungsklausel zur Beschäftigungssicherung
Zur Vermeidung von Entlassungen und zur Sicherung der Beschäftigung kann durch freiwillige Betriebsvereinbarung die wöchentliche Arbeitszeit für Mitarbeitergruppen, einzelne Abteilungen oder ganze Betriebsteile um bis zu 20 % gekürzt werden; die Bezüge und sonstigen Leistungen werden grundsätzlich entsprechend gekürzt. Die sich ergebende Kürzung der Bezüge wird vom Arbeitgeber zu 20 % ausgeglichen. ... Während der Laufzeit der Betriebsvereinbarung dürfen gegenüber den von ihr erfassten Mitarbeitern keine betriebsbedingten Beendigungskündigungen ausgesprochen werden. ... Diese Regelung ist befristet bis zum 31. Dezember 2019. Nach dem Ende der Befristung wirkt die Regelung nach."
Unter dem 01.02.2017 schloss die Beklagte mit ihrem Betriebsrat die 1. Neufassung Betriebsvereinbarung Demografie ab. Dort ist geregelt:
"§ 15 Kollektive Arbeitszeitverkürzung mit Teillohnausgleich
(1) In der Zeit vom 01.07.2017 bis 31.12.2019 wird zur Sicherung der Arbeitsplätze die regelmäßige wöchentliche Arbeitszeit für alle Vollzeitkräfte und 2,5 Stunden wöchentlich auf 36,5 Stunden reduziert (kollektive Arbeitszeitverkürzung). Bei Teilzeitbeschäftigten verkürzt sich die individuelle wöchentliche Arbeitszeit anteilig auf 36,5/39.
(2) Für die gekürzte Arbeitszeit wird e...