Entscheidungsstichwort (Thema)
Kündigung. außerordentlich. Vortäuschen. Arbeitsunfähigkeit. genesungswidriges Verhalten. Kenntnis des Arbeitgebers von Beschlussunfähigkeit des Betriebsrats. Erschütterung des Beweiswerts einer ärztlichen Bescheinigung. Kündigung eines Betriebsratsmitglieds
Normenkette
KSchG § 15; BetrVG § 103
Verfahrensgang
ArbG Hamm (Entscheidung vom 09.01.2013; Aktenzeichen 3 Ca 1329/12) |
Tenor
Auf die Berufung des Klägers - unter Zurückweisung der Anschlussberufung der Beklagten - wird das Urteil des Arbeitsgerichts Hamm vom 09.01.2013 - 3 Ca 1329/12 - teilweise abgeändert und zu den Ziffern 1.-3. insgesamt wie folgt neu gefasst:
Es wird festgestellt, dass das zwischen den Parteien begründete Arbeitsverhältnis weder durch die außerordentliche Kündigung der Beklagten vom 21.06.2012 noch die außerordentliche Kündigung der Beklagten vom 22.06.2012 aufgelöst worden ist.
Die Beklagte wird verurteilt, den Kläger ab sofort bis zum rechtskräftigen Abschluss des Rechtsstreits als Betonbauer weiterzubeschäftigen.
Die Widerklage wird abgewiesen.
Die Beklagte hat die Kosten des Rechtsstreits zu tragen.
Die Revision wird nicht zugelassen.
Tatbestand
Die Parteien streiten um die Wirksamkeit zweier außerordentlicher Kündigungen; der Kläger begehrt seine Weiterbeschäftigung. Die Beklagte verlangt die Rückgewähr gewährter Entgeltfortzahlung im Krankheitsfall.
Der am 25.12.1964 geborene Kläger trat mit Wirkung ab 11.03.1991 in ein Arbeitsverhältnis zur Beklagten, bei der ca. 100 Arbeitnehmer beschäftigt sind. Im Betrieb besteht ein fünfköpfiger Betriebsrat, dem der Kläger angehört; es gibt keine Ersatzmitglieder.
Der Kläger arbeitete zuletzt zu einer Bruttomonatsvergütung in Höhe von 2.324,-- € als Betonbauer in einer Produktionshalle und war mit der geräteunterstützten Herstellung von Betonfertigteilen befasst.
Für den Zeitraum vom 27.06. bis zum 09.07.2011 legte der Kläger der Beklagten zwei jeweils für eine Woche von dem Facharzt für Allgemeinmedizin S1 ausgestellte Arbeitsunfähigkeitsbescheinigungen vor, datierend vom 27.06. und 05.07.20111 (Bl. 66 d. A.). Zur Erläuterung erteilte der Arzt dem Kläger am 12.03.2013 eine ärztliche Bescheinigung, die auszugsweise wie folgt lautet:
"Der Grund für die Arbeitsunfähigkeit waren Kniegelenks- und Rückenschmerzen. Schweres Heben und Tragen sowie Zwangshaltungen des Rückens bzw. der Kniegelenke, wie sie bei der Arbeit als Betonbauer anfallen, waren somit nicht möglich.
Gleichwohl wurde Herrn A1 keine Bettruhe verordnet. Bewegung an der frischen Luft, auch die Teilnahme an gesellschaftlichen Veranstaltungen wie z.B. Besuch eines Schützenfestes, waren ausdrücklich erlaubt (auch um einer möglichen depressiven Entwicklung vorzubeugen) und nicht genesungswidrig, wobei allerdings Voraussetzung war, dass nicht aktiv über mehrere Stunden mit marschiert wurde."
In der Zeit vom 01. bis zum 03.07.2011 fand in W1, einem Ortsteil von M1, das jährliche Schützenfest statt. Der Kläger gehört dem dortigen Schützenverein an und bekleidet die Funktion eines der beiden Zugführer. Er nahm an allen drei Tagen am Schützenfest teil, wobei zwischen den Parteien streitig ist, in welchem zeitlichen Umfang er dort welche Aktivitäten entfaltet hat. In der Lokalpresse erschien ein Bild, das den Kläger stehend in Uniform zeigt (Bl. 158 d. A.).
Ein knappes Jahr später legte der Kläger für den Zeitraum vom 11. bis zum 22.06.2012 eine weitere Arbeitsunfähigkeitsbescheinigung vor, und zwar wegen eines Erschöpfungssyndroms mit Konzentrationsstörungen und eingeschränkter psychischer Belastbarkeit. Wegen der arbeitgeberseitigen Vermutung, der Kläger stelle möglicherweise zu Hause seine Gabionen fertig, erkundigte sich die Personalleiterin A2 bei der Finanzbuchhalterin L1 nach der Wohnanschrift des Klägers. Bei dieser Gelegenheit erfuhr sie von der Zeugin L1, dass diese den Kläger knapp ein Jahr zuvor während der Zeit der Arbeitsunfähigkeit gesehen hatte, als er am Schützenfest teilgenommen hatte.
Am 19.06.2012 begaben sich dann die Personalleiterin A2 und der Leiter des Stahlbetonfertigteilwerks, B1, zum Wohnhaus des Klägers. Hinter einer Garage in der Nähe parkend, beobachteten sie, wie der Kläger bei laufender Betonmischmaschine in gebückter Haltung Arbeiten in seinem Garten verrichtete. Nach ca. 10 Minuten stellte er die Maschine ab und begab sich mit einer Flasche Bier unter ein Abdach. Als die beiden Zeugen zum klägerischen Haus kamen, lief dieser zunächst in das Haus, kam dann aber auf Zuruf wieder heraus. Ausweislich der von der Zeugin A2 anschließend erstellten "Darstellung des Sachverhaltes" kam es sodann zu folgendem Wortwechsel:
"Letzte Woche war ich wirklich krank. Da kannst Du meine Frau nach fragen, aber zu jetzt kann ich nichts sagen. Es stimmt. Es ist so wie es ist." Frau A2 erwiderte: "Du weißt ja, dass dies eine fristlose Kündigung nach sich ziehen wird." Darauf antwortete er: "Scheiße, ja."
Wegen des weiteren Inhalts wird verwiesen auf die mit Beklagtenschriftsatz vom 27.08.2012 eingereichte Kopie (...