Entscheidungsstichwort (Thema)
Zulässiger Feststellungsantrag zur Bildung eines Wirtschaftsausschusses. Kein Wirtschaftsausschuss in Tendenzbetrieben. Zielsetzung des Tendenzschutzes des § 118 BetrVG. Schutz der Kunstfreiheit im "Werkbereich" und im "Wirkbereich"
Leitsatz (redaktionell)
1. Bestehen Meinungsverschiedenheiten zwischen den Betriebspartnern darüber, ob in einem Unternehmen oder Betrieb zu Recht ein Wirtschaftsausschuss gebildet worden ist, kann dies durch einen entsprechenden Feststellungsantrag im Rahmen eines arbeitsgerichtlichen Beschlussverfahrens geklärt werden.
2. Gemäß § 118 Abs. 1 Nr. 1 BetrVG finden die Bestimmungen über den Wirtschaftsausschuss keine Anwendung auf Unternehmen, die unmittelbar und überwiegend politischen, koalitionspolitischen, konfessionellen, karitativen, erzieherischen, wissenschaftlichen oder künstlerischen Bestimmungen dienen (sog. Tendenzschutz).
3. Der Tendenzschutz aus § 118 BetrVG sichert das Grundrecht der Kunstfreiheit (Art. 5 Abs. 3 GG). Für das Verständnis des Begriffs "künstlerische Bestimmung" ist deshalb auf den Inhalt dieses Grundrechts abzustellen. Die betriebsverfassungsrechtliche Regelung dient der Sicherung der verfassungsrechtlich verbürgten Kunstfreiheit.
4. Die Kunstfreiheitsgarantie betrifft in gleicher Weise den "Werkbereich" und den "Wirkbereich" des künstlerischen Schaffens, so dass nicht nur die künstlerische Betätigung (Werkbereich), sondern auch Darbietung und Verbreitung des Kunstwerks (Wirkbereich) unter die Freiheitsgarantie fällt.
Leitsatz (amtlich)
Bei der Bet. zu 2) konnte kein Wirtschaftsausschuss gebildet werden, da sie sich auf Tendenzschutz berufen kann. Sie dient unmittelbar und überwiegend künstlerischen Bestimmungen. Sie ist sowohl im Werk- als auch im Wirkbereich der Kunst tätig, wenn sie Künstler veröffentlicht.
Normenkette
BetrVG § 118 Abs. 1 S. 1 Nr. 1; GG Art. 5 Abs. 3
Verfahrensgang
ArbG München (Entscheidung vom 06.10.2021; Aktenzeichen 5 BV 109/20) |
Tenor
1. Die Beschwerde des Beteiligten zu 1) gegen den Beschluss des Arbeitsgerichts München vom 06.10.2021, Az.: 5 BV 109/20 wird zurückgewiesen.
2. Die Rechtsbeschwerde wird zugelassen.
Gründe
I.
Die Beteiligten streiten über die Bildung eines Wirtschaftsausschusses beim Beteiligten zu 1) und in diesem Zusammenhang darüber, ob die Beteiligte zu 2) ein Tendenzunternehmen ist.
Der Antragsteller und Beteiligte zu 1) ist der bei der Beteiligten zu 2) bestehende Gesamtbetriebsrat. Die Beteiligte zu 2) ist Teil der international tätigen Z. Geschäftsgegenstand der Beteiligten zu 2) ist laut Handelsregistereintrag (Anlage 1, Bl. 78 d. A.) und laut § 2 Abs. 1 des Gesellschaftsvertrags (Anlage 4, Bl. 324 ff. (325) d. A.) die Produktion, Vervielfältigung und Verbreitung von Tonträgern, Bildaufnahmen und Druckschriften sowie der Erwerb und die Vergabe von Auswertungsrechten hinsichtlich Ton- und Bildaufnahmen und Druckschriften; das Betreiben des Musikverlages und Merchandise Geschäfts sowie weitere Geschäfte im Medienbereich sowie das Halten der Beteiligungen an inländischen Tochtergesellschaften. Bei der Beteiligten zu 2) sind sog. Labels angesiedelt z.B. Y., X., W., V., etc. (vgl. Anlagenkonvolut 2, Bl. 84 ff. d. A.). Die unter Vertrag stehenden Künstler werden unter einem dieser Label veröffentlicht. Das gilt sowohl für nationale als auch internationale Künstler. Als nationale Künstler werden solche bezeichnet, die bei der Beklagten unter Vertrag stehen; als internationale solche, die bei einer ausländischen Schwestergesellschaft unter Vertrag stehen.
Der Gesamtbetriebsrat brachte der Beteiligten zu 2) am 25.06.2019 zur Kenntnis, dass er am 22.02.2019 beschlossen habe, einen Wirtschaftsausschuss zu bilden.
Die Beteiligte zu 2) hält sich für ein Unternehmen mit unmittelbar und überwiegend künstlerischer Zweckbestimmung und bestreitet dem Gesamtbetriebsrat daher die Befugnis zur Bildung eines Wirtschaftsausschusses. Demgegenüber vertritt der Gesamtbetriebsrat die Auffassung, die Beteiligte zu 2) sei kein Tendenzunternehmen im Sinne von § 118 BetrVG.
Der Gesamtbetriebsrat war vor dem Arbeitsgericht der Auffassung, die Benennung des Geschäftsgegenstands im Handelsregister sei keine Satzung. Er hat behauptet, 80 Prozent des Geschäftsvolumens der Beteiligten zu 2) bestehe im Bereich "International". Hierbei handle es sich um Topveröffentlichungen, die aufgrund der Vorgaben der Konzernzentrale in den USA vorzunehmen seien. Bei der Beteiligten zu 2) existierten genau genommen drei Vertragsarten zur Vermarktung von Werken. Bei den Künstlerexklusivverträgen und der Tätigkeit der "Artist and Repertoire Scouts/Manager" (A&Rs), ca. 18 Mitarbeitern der Beteiligten zu 2), handle es sich sicherlich eine unmittelbare künstlerische Tendenzverwirklichung. Es fehle jedoch an der überwiegenden Tätigkeit, denn der Anteil der Künstlerexklusivverträge liege bei etwa 10 % der Verträge. Etwa 70 % seien Bandübernahmeverträge. Dabei räume der Künstler die Auswertungsrechte an der fertigen Musikaufnahme ein und verpflich...