Entscheidungsstichwort (Thema)
Kosten eines Sachverständigen. Erforderlichkeit. Interessenausgleich. Verhältnismäßigkeit. Kostenfreistellung des Betriebsrats für sachverständige Beratung bei Betriebsänderung
Leitsatz (redaktionell)
1. Gemäß § 111 Satz 2 BetrVG kann der Betriebsrat in Unternehmen mit mehr als 300 Arbeitnehmern zu seiner Unterstützung bei den Beratungen zu geplanten Betriebsänderungen im Sinne des § 111 Satz 1 BetrVG eine Beraterin hinzuziehen; anders als nach § 80 Abs. 3 BetrVG ist insoweit keine vorherige Vereinbarung mit der Arbeitgeberin erforderlich.
2. Die Hinzuziehung einer Beraterin muss zur Erfüllung der dem Betriebsrat im Rahmen von § 111 BetrVG gestellten Aufgaben erforderlich sein; der Betriebsrat muss daher nach den konkreten Umständen des Einzelfalles prüfen, ob die Heranziehung der Beraterin auch unter Berücksichtigung der dadurch zulasten der Arbeitgeberin entstehenden Kosten erforderlich ist.
3. Der Betriebsrat entscheidet nach pflichtgemäßem Ermessen durch Beschluss, in dem der Berater namentlich zu bezeichnen ist.
4. Die Frage der Erforderlichkeit ist vom Zeitpunkt der Beschlussfassung aus zu beurteilen; eine rückwirkende Beschlussfassung kommt nicht in Betracht.
5. Im Falle einer ordnungsgemäßen Beschlussfassung des Betriebsrats hat die Arbeitgeberin die Kosten der Hinzuziehung der Beraterin nach § 40 Abs. 1 BetrVG zu tragen und den Betriebsrat von der Honorarverpflichtung insoweit freizustellen.
Normenkette
BetrVG §§ 111, 40, 40 Abs. 1, § 111 S. 2
Verfahrensgang
ArbG Koblenz (Entscheidung vom 13.04.2011; Aktenzeichen 4 BV 40/10) |
Tenor
Die Beschwerde der Beteiligten zu 2) gegen den Beschluss des Arbeitsgerichts Koblenz vom 13.04.2011, Az.: 4 BV 40/10, wird kostenpflichtig zurückgewiesen.
Die Rechtsbeschwerde wird nicht zugelassen.
Gründe
I. Die Beteiligten des vorliegenden Beschluss-/Beschwerdeverfahrens streiten um die Freistellung des Gesamtbetriebsrats von den Kosten einer sachverständigen Beratung.
Die Beteiligte zu 2. unterhielt als Unternehmen der Automobilzuliefererindustrie bis zum 31.12.2010 einen Betrieb für Forschung und Entwicklung in C-Stadt mit ca. 170 Arbeitnehmern; dort besteht ein Betriebsrat. Sie unterhält des weiteren einen Produktionsbetrieb im ca. 160 km entfernten A-Stadt mit ca. 270 Arbeitnehmern und einem dort gebildeten Betriebsrat. Der Beteiligte zu 1. ist der Gesamtbetriebsrat. Darüber hinaus besteht ein Wirtschaftsausschuss. Am 07.01.2010 hat die Beteiligte zu 2. den Betriebsrat C-Stadt darüber informiert, dass der dortige Mietvertrag zum Betriebsgrundstück zum 31.12.2010 gekündigt worden sei. Nachdem der Betriebsrat insoweit eine Rechtsberatung für erforderlich hielt, schloss sie zu Gunsten des Betriebsrats mit einer gebietsansässigen Rechtsanwältin einen Beratungsvertrag zur Frage "Kündigung des Mietvertrages C-Stadt" (Stundenhonorar 250,- Euro zzgl. Umsatzsteuer).
In einer außerordentlichen Sitzung des Wirtschaftsausschusses vom 01.06.2010 informierte der Personalleiter F. der Beteiligten zu 2. den Ausschuss und den Beteiligten zu 1. darüber, dass der Standort C-Stadt geschlossen werde, jedoch allen Mitarbeitern ein entsprechender Arbeitsplatz in A-Stadt angeboten werde. Am 14.06.2010 überreichte die Beteiligte zu 2. dem Gesamtbetriebsrat ihr Verlagerungskonzept in Form eines 49-seitigen Schriftstückes.
In der Betriebsratssitzung vom 28.06.2010, zu der mit Schreiben vom 23.06.2010 ordnungsgemäß eingeladen worden war, beschloss der Beteiligte zu 1., Frau Dipl.-Ing. H. und Herrn Rechtsanwalt Prof. Dr. L. "gem. § 80 Abs. 3, § 111 BetrVG" als Sachverständige im Zusammenhang mit der Bekanntgabe der Betriebsänderung am 14.06.2010 zu beauftragen.
Der Beteiligte zu 1. lud die Sachverständige H. zu einer Klausurtagung am 13./14.06.2010 ein zur Erarbeitung eines Fragenkatalogs zum ergänzenden Informationsbegehren, zur wirtschaftlichen Beratung und Bewertung der durch die Beteiligte zu 2. angekündigten Betriebsänderung sowie zur Vorbereitung der für den 15./16.07.2010 von der Beteiligten zu 2. anberaumten Sozialplan- und Interessenausgleichsverhandlungen.
Zu einer Honorarvereinbarung mit der Sachverständigen H. kam es trotz entsprechender Bemühungen letztlich nicht, weil keine Einigung über die Vergütungshöhe mit der Beteiligten zu 2. erzielt werden konnte. Mit Kostennote vom 19.07.2010 rechnete die Sachverständige H. ihre Tätigkeit vom 13. bis 15.07.2010 gegenüber der Beteiligten zu 2. ab (vgl. Bl. 21 d. A). Darin beschreibt die Sachverständige ihre Tätigkeit jeweils mit "Beratung des Gesamtbetriebsrats zur geplanten Betriebsänderung und Diskussion der vorliegenden Antworten und XY sowie ihre Tätigkeit speziell vom 15.07.2010 mit "Besprechung mit GBR und Geschäftsleitung". Als Zeiteinheit wird jeweils "1 Tag" zu einem Tageshonorar von 1.650,00 Euro angegeben. Darüber hinaus werden Reisekosten mit 0,40 Euro/km von A-Stadt nach B-Stadt (13. und 14.07.2010), weiter nach C-Stadt (15.07.2010) und zurück nach A-Stadt geltend gemacht, zusätzlich die Reisezeit mit einem ...