Entscheidungsstichwort (Thema)
Erforderlichkeit. Interessenausgleich. Sachverständigenkosten. Verhältnismäßigkeit. Kostenfreistellung des Betriebsrats für externe Beraterin bei Betriebsänderung anlässlich einer Standortschließung
Leitsatz (redaktionell)
1. Gemäß § 111 Satz 2 BetrVG kann der Betriebsrat in Unternehmen mit mehr als 300 Arbeitnehmern zusätzlich zu den Möglichkeiten nach § 80 Abs. 2 und 3 BetrVG zu seiner Unterstützung eine Beraterin hinzuziehen; dadurch soll der Betriebsrat in die Lage versetzt werden, die Auswirkungen der geplanten Betriebsänderung rasch zu erfassen und in kurzer Zeit mit Hilfe externen Sachverstands fundierte Alternativvorschläge vor allem für eine Beschäftigungssicherung so rechtzeitig zu erarbeiten, dass er auf die Entscheidung der Arbeitgeberin noch Einfluss nehmen kann.
2. Gerade im Interesse der Beschleunigung des Verfahrens bedarf es keiner vorherigen Vereinbarung mit der Unternehmerin.
3. Die Entscheidung, ob eine Beraterin hinzugezogen wird, obliegt dem pflichtgemäßen Ermessen des Betriebsrats und erfolgt durch Beschluss; im Rahmen der Ermessensentscheidung muss der Betriebsrat berücksichtigen, ob die Hinzuziehung einer Beraterin erforderlich ist.
4. Die Erforderlichkeit der Hinzuziehung einer Beraterin hängt davon ab, ob zu erwarten ist, dass die Beraterin unter Berücksichtigung der beim Betriebsrat schon vorhandenen Kenntnisse und Qualifikationen dem Betriebsrat zusätzliche Kenntnisse vermitteln kann.
5. Der Betriebsrat hat auch zu prüfen, ob andere, kostengünstigere Möglichkeiten zur Verschaffung der erforderlichen Kenntnisse zur Verfügung stehen; der Betriebsrat kann allerdings nicht generell auf ausreichende betriebs- oder unternehmensinterne Berater verwiesen werden, da die Hinzuziehung einer externen Beraterin der vom Gesetzgeber gewollte Regelfall ist.
6. Im maßgeblichen Betriebsratsbeschluss ist die Beraterin namentliche zu bezeichnen; die Frage der Erforderlichkeit ist vom Zeitpunkt des Beschlusses aus zu beurteilen.
7. Im Rahmen eines ordnungsgemäßen Beschlusses des Betriebsrats hat die Arbeitgeberin die Kosten der Hinzuziehung einer Beraterin nach § 40 Abs. 1 BetrVG zu tragen und den Betriebsrat von der Honorarverpflichtung gegenüber der Beraterin freizustellen.
8. Die Erforderlichkeit der Heranziehung der Beraterin und einer mit dieser geschlossenen Honorarvereinbarung unterliegen der arbeitsgerichtlichen Kontrolle; diese Prüfung ist auf die Fragen beschränkt, ob die Hinzuziehung sowie eine erteilte Honorarzusage unter den konkreten Umständen des Einzelfalles der Erledigung der gesetzlichen Aufgaben dient und ob der Betriebsrat neben den Interessen der Belegschaft auch die berechtigten Interessen der Arbeitgeberin berücksichtigt hat, insbesondere im Hinblick auf die Begrenzung der Kosten im Rahmen der Verhältnismäßigkeit zwischen zeitlichem Umfang der Beratungstätigkeit und der Komplexität der Betriebsänderung.
9. Bestehen gesetzliche Regelungen für die Vergütung der Beraterin, sind diese maßgebend; eine Honorarzusage, die zu einer höheren als der der gesetzlichen Gebührenordnung entsprechenden Vergütung führt (insbesondere auch die Vereinbarung eine Zeithonorars) darf der Betriebsrat regelmäßig nicht für erforderlich halten, wobei ausnahmsweise auch abweichende Vereinbarungen gerechtfertigt sein können.
Normenkette
BetrVG § 111 S. 2, §§ 40, 80 Abs. 3, 2
Verfahrensgang
ArbG Koblenz (Entscheidung vom 29.06.2011; Aktenzeichen 4 BV 42/10) |
Tenor
Die Beschwerde der Beteiligten zu 2) gegen den Beschluss des Arbeitsgerichts Koblenz vom 29.06.2011, Az.: 4 BV 42/10, wird kostenpflichtig zurückgewiesen.
Die Rechtsbeschwerde wird nicht zugelassen.
Gründe
I. Die Beteiligten des vorliegenden Beschluss-/Beschwerdeverfahrens streiten über die Freistellung des Betriebsrats von Beratungskosten.
Die Beteiligte zu 2. hat als Unternehmen der Automobilzuliefererindustrie bis zum 31.12.2010 einen Betrieb für Forschung und Entwicklung, mit zuletzt ca. 170 Arbeitnehmern in B-Stadt unterhalten. Sie unterhält des weiteren einen Produktionsbetrieb in A-Stadt, ca. 160 km entfernt, mit etwa 270 Arbeitnehmern und einem dort gebildeten eigenen Betriebsrat. Der Beteiligte zu 1. ist der Betriebsrat in B-Stadt. Darüber hinaus bestehen ein Gesamtbetriebsrat und ein Wirtschaftsausschuss.
In der außerordentlichen Sitzung des Wirtschaftsausschusses vom 01.06.2010 informierte der Personalleiter D. den Beteiligten zu 2., den Wirtschaftsausschuss und den Beteiligten zu 1. darüber, dass der Standort B-Stadt geschlossen werde. Für alle Mitarbeiter in B-Stadt stehe aber ein Arbeitsplatz in A-Stadt zur Verfügung. Weiter wurde erklärt, diese Information sei informell, da bislang noch keine Unterzeichnung durch den Vorstand vorliege. Schließlich klärt der Personlalleiter die Betriebsverlagerung sei beschlossene Sache, die Entscheidung müsse aber noch durch den Konzern A., Herrn N., bestätigt werden, was allerdings reine Formsache sei.
Mit Schreiben vom 02.06.2010 forderte der Beteiligte zu 1. von der Beteiligten zu...