Entscheidungsstichwort (Thema)
Fristlose Kündigung des Arbeitsverhältnisses eines Werkzeugmachers wegen Vortäuschung der Arbeitsunfähigkeit
Leitsatz (redaktionell)
1. Die fristlose Kündigung des Arbeitsverhältnisses eines Werkzeugmachers, der allein unterbrochen durch den Wehrdienst dem Betrieb bereits seit 49 Jahren ohne Beanstandungen angehört, wegen Vortäuschung der Arbeitsunfähigkeit ist unwirksam, da der Arbeitnehmer angesichts der langen Betriebszugehörigkeit ein schutzwürdiges Interesse am Bestand des Arbeitsverhältnisses hat und es dem Arbeitgeber zumutbar wäre, zumindest bis zum Ablauf der ordentlichen Kündigungsfrist an dem Arbeitsverhältnis festzuhalten.
2. Eine ordentliche, verhaltensbedingte Kündigung ist sozial ungerechtfertigt, wenn der Nachweis, dass der Arbeitnehmer seine Arbeitsunfähigkeit vorgetäuscht oder sich genesungswidrig verhalten hat, nicht geführt werden konnte.
Normenkette
BGB §§ 249, 280 Abs. 1, § 626; KSchG § 1 Abs. 2; BGB § 626 Abs. 1
Verfahrensgang
ArbG Koblenz (Entscheidung vom 13.12.2016; Aktenzeichen 12 Ca 1931/16) |
Tenor
- Die Berufung der Beklagten gegen das Urteil des Arbeitsgerichts Koblenz vom 13. Dezember 2016, Az. 12 Ca 1931/16, wird kostenpflichtig zurückgewiesen.
- Die Revision wird nicht zugelassen.
Tatbestand
Die Parteien streiten über die Wirksamkeit einer außerordentlichen, hilfsweise ordentlichen Kündigung der Beklagten sowie auf die Widerklage über die Erstattung von Detektivkosten.
Der im Januar 1953 geborene, verheiratete Kläger ist seit September 1967 bei der Beklagten als Werkzeugmacher beschäftigt. Er arbeitet als Schichtführer in der Formenwerkstatt, in dieser Funktion ist er Vorgesetzter von zwei Mitarbeitern. Der Kläger arbeitet seit 26 Jahren nur in der Nachtschicht (Dauernachtschicht) zu einer durchschnittlichen Bruttovergütung von zuletzt rund 4.200 Euro monatlich. Die Beklagte beschäftigt ca. 120 Arbeitnehmer, es besteht ein Betriebsrat.
Der Kläger betreibt an der Mosel einen Weinbaubetrieb im Nebengewerbe. Von seinem Recht, eine vorgezogene Altersrente für besonders langjährig Versicherte ohne Abschläge in Anspruch zu nehmen, macht er wegen der Hinzuverdienstgrenze keinen Gebrauch. Stattdessen will der Kläger mit der Beklagten einen Altersteilzeitvertrag abschließen, was diese und der Betriebsrat ablehnen. Deshalb sind und waren Arbeitsgerichtsprozesse anhängig.
Der Kläger war ausweislich mehrerer Arbeitsunfähigkeitsbescheinigungen in der Zeit vom 26.04. bis einschließlich 03.06.2016 wegen derselben Krankheit (ICD-10 Code T13.05 RG) ununterbrochen arbeitsunfähig krankgeschrieben, weil sich aufgrund einer Prellung am rechten Unterschenkel ein Hämatom gebildet hatte, das sich verkapselte und deswegen operativ behandelt werden musste.
Der Personalleiter der Beklagten sah den Kläger Anfang Mai 2016 in Arbeitskleidung vor seinem Haus und privaten Betriebsgelände. Nach dessen Beobachtung soll der Kläger schnell in seinem Betriebsgebäude verschwunden sein, als er ihn bemerkt habe. Nachdem der Personalleiter in der Folgezeit weitere Arbeitsunfähigkeitsbescheinigungen des Klägers erhielt, ergab sich aus seiner Sicht ein erster Verdacht, dass der Kläger entweder seine Arbeitsunfähigkeit nur vortäuschen oder sich genesungswidrig verhalten könnte. Die Beklagte beauftragte Ende Mai 2016 eine Detektei, um diesem Verdacht nachzugehen. Die Detektei, die der Beklagten am 15.06.2016 für ihre Leistungen einen Betrag von € 5.032,34 (netto) in Rechnung stellte, beobachtete den Kläger an drei Tagen vom 01. bis zum 03.06.2016. Im Tätigkeitsbericht der Detektei ist - auszugsweise - folgendes festgehalten:
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"Einsatz am 01.06.2016 |
08.11 |
Uhr fuhr ein kleiner Traktor, amtl. Kennzeichen: ..., vor eine der beiden Garagen. Von diesem Traktor steigt die ZP [Zielperson = Kläger], öffnete die Garagen und betrat diese. |
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Bekleidet war die ZP mit Arbeitsschuhen, einer blauen Arbeitshose und einem blauen Pullover. Auf dem Kopf trug sie eine Baseball-Kappe. Die ZP verbrachte einige Minuten in der Garage, bevor sie den Traktor mit einem Plastikgegenstand belud. Danach spritzte sie das Fahrzeug mit einem Wasserschlauch ab. |
08.23 |
Uhr setzte sich die ZP in den Traktor und fuhr los. Sie fuhr durch A-Stadt, P., R. und über die Serpentinen weiter nach K.. |
09.10 |
Uhr fuhr die ZP am Ortseingang K. in einen Feldweg und weiter durch die Weinberge. Aus observationstechnischen Gründen und unter Wahrung der Diskretion folgte der SB [Sachbearbeiter] nicht. |
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Der SB kontrollierte in der Folge den Ort K.. Nach einigen Minuten fand der SB den Traktor der ZP. Dieser stand am Ortsausgang von K. in Richtung L 58 auf der linken Seite. ... Die ZP war zu dieser Zeit nicht zu sehen. |
9:30 |
Uhr fuhr die ZP in einem Opel Transporter, Farbe: blau, amtl. Kennzeichen: ... durch die K. Straße. Offenbar suchte sie etwas. In der Folge positionierte sich der SB aus Diskretionsgründen im Ort. Bei einer Kontrollfahrt um |
14.50 |
Uhr stellte der SB fest, dass die ZP nicht mehr vor Ort war. Der SB fuhr dann zurück zur Wohnanschrift der ZP, wo e... |