Entscheidungsstichwort (Thema)
Hamburger Lohntabelle. schuldrechtliche Verpflichtung. OT-Mitgliedschaft. Tarifvertrag. Kündigung. Nachwirkung. andere Abmachung. Einzelvertrag. Verzicht. im Voraus. Verdrängung. Wiederaufleben. nichtig. Auslegung. Andere Abmachung. tarifablösende Wirkung einer zurückliegenden Einzelvereinbarung
Leitsatz (amtlich)
1) Voraussetzung für die Ablösung der Nachwirkung einer Tarifvertragsregelung durch eine etwaige vor Ablauf des Tarifvertrages schon geschlossene einzelvertragliche Vereinbarung ist in jedem Fall, dass sie ausdrücklich oder zumindest konkludent auf die Ablösung des Tarifvertrages gerichtet ist (mit BAG vom 21.9.1989 – 1 AZR 454/88; BAG vom 23.5.2005 – 4 AZR 186/04; BAG vom 17.1.2006 – 9 AZR 41/05 – jeweils zitiert nach JURIS)
2) Die Vereinbarung muss aber auf die Ablösung einer Nachwirkung des Tarifvertrages gerichtet sind.
3) Voraussetzung ist, dass die Parteien bei Abschluss einer derartigen Vereinbarung auch den konkreten zukünftigen Nachwirkungszeitraum ins Auge gefasst haben. Erforderlich ist insoweit, dass sich aus der Einzelvertragsvereinbarung dieser eindeutige, auf die Zukunft gerichtete Regelungswille der Parteien zweifelsfrei ergibt.
Normenkette
TVG § 3 Abs. 3, § 4 Abs. 5; BGB §§ 133, 157; TV Lohn/West (Baugewerbe) § 6
Verfahrensgang
ArbG Elmshorn (Urteil vom 20.09.2007; Aktenzeichen 3 Ca 967 b/07) |
Tenor
Die Berufungen des Klägers und der Beklagten gegen das Urteil des Arbeitsgerichts Elmshorn vom 20.09.2007 – 3 Ca 967 b/07 – werden zurückgewiesen.
Die Kosten des Berufungsverfahrens tragen die Beklagte zu 98 %, der Kläger zu 2 %.
Die Revision wird für beide Parteien zugelassen.
Tatbestand
Die Parteien streiten über die Lohnhöhe und darüber, ob eine zwischen den Parteien am 12.7.2005 getroffene Vereinbarung den Anspruch des Klägers auf den Tariflohn nach Wegfall der Tarifbindung der Beklagten und nach Kündigung des Tarifvertrages entfallen lassen hat. Es geht in diesem Rechtsstreit um Vergütungsdifferenzen für die Monate April und Mai 2007.
Der Kläger ist seit mehreren Jahren bei der Beklagten als gewerblicher Arbeitnehmer beschäftigt. Er ist seit vielen Jahren Mitglied der IG Bau Agrar Umwelt.
Die Beklagte betreibt ein Bauunternehmen mit rund 140 Arbeitnehmern. Sie ist Mitglied im Norddeutschen Baugewerbeverband e. V. Seit dem 01.01.2006 besteht jedoch nur noch Mitgliedschaft „ohne Tarifbindung”. Mit ihrem Sitz in Hamburg gehört die Beklagte zum Sonderlohngebiet Hamburg.
Am 4. Juli 2002 schlossen die bundesweit handelnden Tarifvertragsparteien den „Tarifvertrag zur Regelung der Löhne und Ausbildungsvergütungen im Baugewerbe im Gebiet der Bundesrepublik Deutschland mit Ausnahme der 5 neuen Länder und des Landes Berlin” (im Folgenden: TV Lohn/West) ab, mit dem auch neue Lohnstrukturen eingeführt wurden. Für den Kläger als Spezialbaufacharbeiter war seither die neue Lohngruppe 4 des TV Lohn/West maßgeblich. Für den streitbefangenen Zeitraum beläuft sich der aktuelle
Zeitlohn auf 14,56 EUR brutto/Stunde und der aktuelle Akkordlohn auf 13,75 EUR/Stunde.
Seit über 60 Jahren vereinbarten die Landesbeziehungsweise Bezirksorganisationen der bauwirtschaftlichen Tarifvertragsparteien in Hamburg für das dortige Verbandsgebiet Bezirkslohntarifverträge (Lohntabellen). Anlass der Erstellung dieser Bezirkslohntarifverträge war zumeist der Abschluss eines Tarifvertrages der zentralen Tarifvertragsparteien auf Bundesebene.
Der letzte Bezirkslohntarifvertrag (Lohntabelle) für Hamburg wurde am 1. April 2001 geschlossen. Der ihm zugrunde liegende bundesweit geltende Lohntarifvertrag wurde zum 31. März 2002 gekündigt. Seither befindet sich die Bezirkslohntabelle des Baugewerbes Hamburg in der Nachwirkung. Ein neuer Bezirkslohntarifvertrag ist nicht mehr abgeschlossen worden.
In den vergangenen 30 Jahren lag der Hamburger Spezialbaufacharbeitertariflohn wechselnd zwischen 0,08 DM (= 0,04 Euro) und 0,09 DM (= 0,05 Euro) über dem Spezialbaufacharbeiterlohn des TV Lohn/West. Zuletzt betrug der Lohnabstand 0,04 Euro mehr pro Stunde.
Ungeachtet des Fehlens tariflicher Bezirkslohntarifverträge ab dem Jahre 2002 zahlte die Beklagte ihren Arbeitnehmern einen Lohn, der die bisherigen Besonderheiten des Sonderlohngebietes Hamburg berücksichtigte und der 0,04 Euro über dem entsprechenden Lohn des TV Lohn/West lag.
Am 23. Juni 2005 informierte die Beklagte den Betriebsrat darüber, dass sich die wirtschaftliche Lage sehr verschlechtert habe und in den letzten Jahren Verluste in Höhe von 2 Mio. EUR entstanden seien. Sie beabsichtige deshalb, zum Juli die Hälfte der Belegschaft zu kündigen und zum Jahresende die Firma ganz zu schließen. Eine andere Lösung sei es, dass die gesamte Belegschaft sich bereit erkläre, zum tariflichen Mindestlohn zu arbeiten. Der Betriebsrat solle die Kollegen auf den Baustellen darüber informieren. Ferner teilte die Beklagte dem Betriebsrat mit, dass sie „in Zukunft nicht mehr im Arbeitgeberverband” sein werde. Wegen der weiteren Einzelheiten des Gesprächs und der Teilnehmer an die...