Entscheidungsstichwort (Thema)
Sozialgerichtliches Verfahren. Feststellungsklage. Klärung von Mitwirkungspflichten. Subsidiarität gegenüber einer Gestaltungs- oder Leistungsklage. selbstständiger Rechtsbehelf gegen eine Mitwirkungsaufforderung. Sozialhilfe. Weiterbewilligung von Leistungen der Grundsicherung im Alter und bei Erwerbsminderung. Nachweis der Hilfebedürftigkeit. Anforderung von Kontoauszügen (hier: für sechs Wochen). Geltung der Mitwirkungspflichten gemäß §§ 60 ff SGB 1
Leitsatz (amtlich)
1. Eine Feststellungsklage, mit der Mitwirkungspflichten geklärt werden sollen, ist gegenüber einer Gestaltungs- oder Leistungsklage nicht subsidiär, wenn der Kläger zwischenzeitlich seiner Mitwirkungspflicht nachgekommen und diese deshalb für einen aktuellen Bewilligungszeitraum nicht entscheidungserheblich ist, aber für nachfolgende Bewilligungszeiträume eine Klärung zu erwarten ist.
2. Gegen die Aufforderung zur Mitwirkung nach den §§ 60 ff SGB I kann entgegen § 56a S 1 SGG ausnahmsweise ein selbstständiger Rechtsbehelf eingelegt werden, wenn sich der Kläger gegen eine mit der Möglichkeit der Versagung oder Entziehung von Leistungen nach § 66 Abs 1 SGB I bewehrte Mitwirkungsaufforderung in einem auf die Gewährleistung existenzsichernder Leistungen gerichteten Verwaltungsverfahren wendet und die Klärung der Rechtmäßigkeit einer Verfahrenshandlung auch für zukünftige Zeiträume zu erwarten ist.
Orientierungssatz
Zur Geltung der Mitwirkungspflichten der §§ 60 ff SGB 1 im Sozialhilferecht und zur Rechtmäßigkeit der Anforderung von Kontoauszügen für einen Zeitraum von sechs Wochen im Rahmen der Weiterbewilligung von Leistungen der Grundsicherung im Alter und bei Erwerbsminderung nach dem Vierten Kapitel des SGB 12.
Tenor
Die Berufung des Klägers gegen den Gerichtsbescheid des Sozialgerichts Mannheim vom 4. März 2024 wird zurückgewiesen.
Außergerichtliche Kosten sind auch im Berufungsverfahren nicht zu erstatten.
Tatbestand
Der Kläger wendet sich gegen die (erwartete) Anforderung von Kontoauszügen seitens der Beklagten im Rahmen der Weiterbewilligung von Leistungen der Grundsicherung im Alter und bei Erwerbsminderung nach dem Vierten Kapitel des Zwölften Buchs Sozialgesetzbuch (SGB XII).
Der 1961 geborene, auf Dauer voll erwerbsgeminderte Kläger steht seit langem im Leistungsbezug bei der Beklagten. Mit Schreiben vom 16. November 2023 übersandte die Beklagte dem Kläger Antragsformulare für die Weiterbewilligung der Grundsicherungsleistungen für den Zeitraum vom 1. Dezember 2023 bis 30. November 2024 und bat ergänzend um die Vorlage von Kontoauszügen bezüglich des Zeitraums vom 1. Oktober 2023 bis 10. November 2023. Hierbei wies die Beklagte auf die sich aus den§§ 60 ff. Erstes Buch Sozialgesetzbuch (SGB I) ergebenden Mitwirkungspflichten hin, sowie darauf, dass der Kläger berechtigt sei, auf der Ausgabenseite der angeforderten Kontoauszüge den Verwendungszweck und den Empfänger, nicht aber den Betrag zu schwärzen.
Nach erfolgter Rückmeldung des Klägers vom 22. November 2023 (Bl. 1275 Verw.-Akte), dem neben dem ausgefüllten Weiterbewilligungsantrag - nach entsprechenden Aktenvermerken der Beklagten (s. etwa Bl. 1337 Verw.-Akte) - im Weiteren von der Beklagten aus Datenschutzgründen vernichtete Kontoauszüge für den Zeitraum vom 1. September 2023 bis 2. Oktober 2023 beigefügt waren, bewilligte die Beklagte dem Kläger mit Bescheid vom 11. Januar 2024 Leistungen der Grundsicherung im Alter und bei Erwerbsminderung für den Zeitraum vom 1. Dezember 2023 bis 30. November 2024.
Bereits mit einem als „Antrag auf einstweiliger Anordnung“ überschriebenen Schreiben vom 4. Dezember 2023 wandte sich der Kläger an das Sozialgericht Mannheim (SG), dort zugegangen am 11. Dezember 2023, und teilte mit, die Beklagte habe gerade eben die Grundsicherung per Bescheid weiterbewilligt. Dieser Antrag auf einstweilige Anordnung werde nun als Feststellungsklage weitergeführt. Er halte die Vorlage von Kontoauszügen für verfassungswidrig im Sinne des Art. 3 Grundgesetz (GG). Das Bundesverfassungsgericht (BVerfG) habe in seinem Urteil vom 22. November 2023 ( 1 BvR 2577/15 u.a.) festgestellt, dass bei Legasthenikern der Eintrag, dass die Rechtschreibung im Abitur nicht bewertet wurde, rechtens sei, allerdings nur dann, wenn das für alle Behinderungen gelte. So sei es auch hier. Wenn die Vorlage von allen verlangt werden würde, dann sei die Vorlage auch rechtens. Wenn aber die Vorlage sich auf Grundsicherungsberechtigte und Bürgergeldberechtigte beschränke, sei die Vorlage verfassungswidrig. So müssten beispielsweise Steuerpflichtige im Rahmen einer Einkommensteuererklärung die Kontoauszüge gerade nicht vorlegen. Mit solch einer Vorlage könne nicht nur Sozialleistungsbetrug aufgedeckt oder verhindert werden, sondern eben auch Steuerbetrug. Das SG möge deshalb feststellen, dass derzeit die Vorlage von Kontoauszügen verfassungswidrig sei, solange nicht alle, die entweder eine Leistung des Staates beziehen wollten oder zu einer Steuer oder Abgabe zugunsten...