Entscheidungsstichwort (Thema)
Rente wegen verminderter Erwerbsfähigkeit. anwendbares Recht bei Erfüllung der Anspruchsvoraussetzungen für die Gewährung einer Rente wegen Berufsunfähigkeit vor dem 1.1.2001 und Rentenbeginn nach dem 31.12.2000
Leitsatz (amtlich)
Der Rentenbeginn gehört nicht zu den Anspruchsvoraussetzungen für die Gewährung der Rente wegen Berufsunfähigkeit. § 300 Abs 2 SGB 6 setzt das Bestehen des Anspruches, nicht aber dessen Fälligkeit voraus. Daher ist auf eine Rente wegen Berufsunfähigkeit altes Recht (bis 31.12.2000) anzuwenden, sofern der Leistungsfall vor dem 31.12.2000 liegt, auch wenn Zahlungsbeginn (§§ 99 Abs 1, 101 SGB 6) erst nach dem 31.12.2000 ist.
Orientierungssatz
Zum Leitsatz vgl BSG vom 8.9.2005 - B 13 RJ 10/04 R = BSGE 95, 112 = SozR 4-2600 § 101 Nr 2.
Tenor
Die Berufung der Beklagten gegen das Urteil des Sozialgerichts Stuttgart vom 4. November 2013 wird zurückgewiesen.
Die Beklagte trägt auch die außergerichtlichen Kosten für das Berufungsverfahren.
Tatbestand
Streitig ist die Gewährung einer (höheren) Rente wegen Berufsunfähigkeit nach dem bis zum 31.12.2000 geltenden Recht.
Der am … 1956 geborene Kläger absolvierte in den Jahren 1971 bis 1975 eine Ausbildung zum Kfz-Mechaniker und war im Anschluss lediglich unterbrochen durch Bundeswehrzeit und den Besuch einer Aufbauschule bis zum Jahr 2000 als Kfz-Schlosser beschäftigt. Er erlitt am 16.6.2000 einen Schlaganfall. Auf Reha-Anträge vom 5.7.2000 und 23.11.2000 wurden dem Kläger jeweils Leistungen zur medizinischen Rehabilitation gewährt (Bewilligungsbescheide vom 13.7. und 8.12.2000). Ein Rentenantrag des Klägers vom 5.10.2001 wurde mit Bescheid vom 10.10.2001 zunächst abgelehnt. Im Widerspruchsverfahren wurde dem Kläger mit Bescheid vom 29.10.2002 unter Zugrundelegung eines Leistungsfalles am 16.6.2000 eine befristete Rente wegen teilweiser Erwerbsminderung bei Berufsunfähigkeit unter Anwendung des § 43 SGB VI n.F. (Rentenartfaktor 0,5) für die Zeit vom 1.1.2001 bis 31.12.2003 bewilligt. In dem genannten Bescheid ist erläutert, dass der Antrag auf Rehabilitationsmaßnahmen vom 5.7.2000 gemäß § 116 SGB VI als Rentenantrag gelte. Der Widerspruch im Übrigen wurde mit Widerspruchsbescheid vom 30.1.2003 zurückgewiesen (Bl. 26 VA).
Die hiergegen mit dem Ziel der Gewährung einer Rente wegen voller Erwerbsminderung erhobene Klage wies das Sozialgericht Stuttgart mit Urteil vom 15.3.2006 ebenfalls unter Anwendung des § 43 SGB VI n.F. ab (Az. S 11 R 963/03, Bl. 125 VA). Das Berufungsverfahren blieb für den Kläger ohne Erfolg (Berufungsurteil vom 18.3.2008, Az. L 11 R 1678/06, Bl. 180 VA).
Auf Weiterbewilligungsanträge des Klägers gewährte die Beklagte die Rente wegen teilweiser Erwerbsminderung zunächst befristet, sodann als Dauerrente weiter (Bescheide vom 13.10.2005 und 6.11.2006). Mit Überprüfungsanträgen vom 27.12.2007 (Bl. 165 VA) und 28.12.2007 (Bl. 166 VA) beantragte der Kläger die Überprüfung seiner Rentenbescheide vom 29.10.2002, 13.10.2005 und 6.11.2006. Er bat mit Blick auf das “Urteil des Bundessozialgerichts 2005„ um Prüfung, ob die Verwaltungspraxis des Rentenversicherungsträgers beim Übergang vom alten in das neue Erwerbsminderungsrecht in seinem Fall rechtmäßig gewesen sei, da die sogenannten Stammvoraussetzungen vor dem 1.1.2001 erfüllt gewesen seien, der Rentenbeginn aber erst nach dem 31.12.2000 gelegen habe. Seiner Ansicht nach müsse er nach altem Recht behandelt werden. Darüber hinaus machte er geltend, dass die Abschläge (Verminderung des Zugangsfaktors) zu überprüfen seien im Hinblick auf das Urteil des BSG vom 16.5.2006 (B 4 RA 22/05). Mit “Widerspruchsbescheid„ vom 3.11.2011 (Bl. 182 VA) lehnte die Beklagte die begehrte Gewährung einer höheren Rente mit der Begründung ab, dass die Abschläge bei Renten wegen verminderter Erwerbsfähigkeit gesetzes- und verfassungsmäßig seien. Die hiergegen am 5.12.2011 zum SG Stuttgart erhobene Klage (Az. S 25 R 6810/11, Bl. 183 VA) nahm der Kläger am 8.2.2012 zurück und stellte am gleichen Tag einen erneuten Überprüfungsantrag bei der Beklagten betreffend den Rentenbescheid vom 29.10.2002 und alle Folgebescheide (Bl. 187 VA). Er habe Anspruch auf eine BU-Rente nach dem Recht des Jahres 2000 mit dem Rentenartfaktor 2/3, denn mit einem Eintritt des Leistungsfalls der Berufsunfähigkeit am 16.6.2000, dem Vorliegen der versicherungsrechtlichen Voraussetzungen und dem Vorliegen eines Rentenantrags (umgedeuteter Reha-Antrag) seien alle Voraussetzungen bereits im Jahr 2000 erfüllt gewesen. Das Bundessozialgericht (BSG) habe in einem Urteil vom 8.9.2005 (B 13 RJ 10/04 R) festgelegt, dass bei Erfüllung der Voraussetzungen vor dem Jahr 2001 auch bei einem Rentenbeginn ab 1.1.2001 die Rente nach dem Recht des Jahres 2000 zu leisten sei.
Mit Bescheid vom 1.3.2012 lehnte die Beklagte den Überprüfungsantrag ab (Bl. 193 VA). Komme es bei zeitlich befristeten Renten wegen der Beginnsvorschrift des § 101 Abs. 1 SGB VI zu einem Rentenbeginn nach dem 31.12.2000, habe der Anspruch auf die Rente nicht re...