Entscheidungsstichwort (Thema)
Erstattungsstreit. Eingliederungshilfe nach altem Recht. fortgesetzte Kostenzuständigkeit des bisherigen Sozialhilfeträgers bei Wechsel in eine ambulante Wohnform. Aufnahme eines Studiums in einem anderen Bundesland. Studentenwohnheim bzw selbst angemietete Studentenwohnung als ambulant betreute Wohnmöglichkeit. Studienassistenz. 22-Stunden-Betreuung. Leistung wegen unklarer Zuständigkeit. Einführung der neuen Eingliederungshilfe. Übergangsregelung zur fortgesetzten Kostenzuständigkeit
Leitsatz (amtlich)
1. Zu den Voraussetzungen einer Leistungserbringung in Formen ambulant betreuter Wohnmöglichkeiten.
2. Der erstangegangene, leistende Rehabilitationsträger hat einen Erstattungsanspruch nach§ 102 SGB 10 , wenn eine Weiterleitung nicht erfolgt ist, weil mehrere in Betracht kommende Rehabilitationsträger jeweils ihre Zuständigkeit unter Berufung auf Landesrecht in Abrede stellen und der Wille, lediglich im Hinblick auf die unklare Zuständigkeit leisten zu wollen, nach außen erkennbar ist.
Normenkette
SGB X § 102 Abs. 2, § 104; SGB XII § 98 Abs. 5 S. 1 Fassung: 2012-12-20, S. 1 Fassung: 2019-04-29, Abs. 1 S. 1, § 97 Abs. 2 S. 1, Abs. 3 Nr. 1, §§ 53, 55 Abs. 2 Nr. 6; SGB IX § 14 Abs. 2 S. 1, Abs. 4 Sätze 1, 3; SGB IX 2018 § 16 Abs. 1, 4, § 78 Abs. 2 S. 2 Nr. 1, § 94 Abs. 1, § 98 Abs. 5 S. 1, § 103 Abs. 2, § 113 Abs. 2 Nr. 2; AG-SGB XII HE § 2 Abs. 1 Nr. 1; AG-SGB IX HE § 2 Abs. 1 S. 2, Abs. 3 Fassung: 2018-09-13; BTHG
Verfahrensgang
SG Mannheim (Urteil vom 07.12.2022; Aktenzeichen S 9 SO 1954/21) |
Tenor
Die Berufung des Beklagten gegen das Urteil des Sozialgerichts Mannheim vom 7. Dezember 2022 wird zurückgewiesen.
Der Beklagte hat die Kosten des Verfahrens in beiden Instanzen zu tragen.
Tatbestand
Zwischen den Beteiligten ist ein Erstattungsanspruch der Klägerin in Höhe von 532.271,83 EUR für an die Leistungsempfängerin R1 (K.R.) erbrachte Eingliederungshilfeleistungen streitig.
Die 1993 geborene K.R. leidet an einer spinalen Muskelatrophie Typ II. Bei ihr sind seit 1994 ein Grad der Behinderung von 100 sowie die Merkzeichen G, B, aG und H festgestellt. Seit 1995 war Pflegestufe III, seit März 2013 mit außergewöhnlich hohem Pflegebedarf und seit 1. Januar 2017 Pflegegrad 5 festgestellt. Sie wohnte zunächst in W1 im Haushalt ihrer Eltern. Bis zum Abitur erhielt K.R. vom Beigeladenen Eingliederungshilfe in Form von Hilfe zur angemessenen Schulbildung (Schulbegleitung).
Zum Wintersemester 2012/2013 immatrikulierte sich K.R. an der R2-Universität H1 für das Fach Psychologie. Von der R2-Universität H1 erhielt sie ab Oktober 2012 ein Stipendium in Höhe von monatlich 300 EUR.
Ab 1. September 2012 mietete K.R. in einem Behinderten-Apartment des Studentenwerks H1 ein Zimmer für sich zu einer monatlichen Gesamtmiete in Höhe von 315 EUR sowie ein Zimmer für ihre Betreuungsperson zu einer monatlichen Gesamtmiete von 281 EUR.
Am 6. September 2012 beantragte K.R. bei der Klägerin Leistungen der Eingliederungshilfe. Dabei gab sie an, ein Umzug nach H1 sei spätestens zum 1. Oktober 2012 geplant, der Mietvertrag beginne am 1. September 2012. Sie habe bis 2012 Sozialhilfeleistungen vom Beigeladenen bezogen.
Zum 25. September 2012 zog K.R. zur Aufnahme des Studiums von W1 nach H1.
Mit Bescheid vom 17. Dezember 2012 lehnte die Klägerin den Antrag der K.R. auf Kostenübernahme für eine Studienassistenz wegen übersteigenden Vermögens ab.
Auf Anfrage der Klägerin zum bestehenden Unterstützungsbedarf im Rahmen des Studiums teilte die Universität H1 mit Schreiben vom 4. Januar 2012 (gemeint: 2013) mit, K.R. benötige Begleitung auf den Wegen zur Universität und nach Hause, bei Raumwechseln sowie Bibliotheksbesuchen, Assistenz beim Besuch von Lehrveranstaltungen in Form von Anfertigen von Mitschriften, Anreichen von Materialien und Hilfe bei der Korrektur der Körperhaltung, sowie Assistenz beim Selbststudium zur Vor- und Nachbereitung des Lehrstoffs. Durch die Universität sei eine Studienassistenz im erforderlichen Umfang von etwa 50 Stunden pro Woche für K.R. nicht zu finanzieren.
Am 10. Januar 2013 beantragte K.R. im Hinblick auf den bevorstehenden Vermögensverbrauch erneut die Kostenübernahme für Studienassistenz.
Mit Bescheid vom 23. Juli 2013 bewilligte die Klägerin K.R. Eingliederungshilfe zur Durchführung des Studiums an der Universität H1 ab 10. Januar 2013 bis zunächst 31. August 2013. Die Eingliederungshilfe umfasse laut Gesamtplan nach§ 58 Zwölftes Buch Sozialgesetzbuch (SGB XII) vom 22. Februar 2013, der Grundlage des Bescheides sei, die tägliche 22-Stunden-Betreuung ab 1. März 2013, die tägliche 20-Stunden-Betreuung für die Monate Januar und Februar 2013 und die Mietkosten für das für die Pflegeperson angemietete Zimmer in der Studentenwohnung in Höhe von monatlich 281 EUR ab 1. März 2013.
Für die Zeit vom 1. September 2013 bis zunächst 28. Februar 2014 gewährte die Klägerin Eingliederungshilfe in Form einer täglichen 22-Stunden-Betreuung sowie der Mietkosten für das für die Pflegeperson angemietete Zimmer wei...