Entscheidungsstichwort (Thema)
Vertragsärztliche Versorgung. Auslegung der Regelungen einer Sprechstundenbedarfs-Vereinbarung. Trennung zwischen Gruppe der Arznei- und Verbandmittel. Guttaplast® stellt kein Verbandmittel iS der Sprechstundenbedarfs-Vereinbarung dar
Leitsatz (amtlich)
1. Die Regelungen der Sprechstundenbedarfs-Vereinbarung sind in erster Linie nach ihrem Wortlaut auszulegen.
2. Es ist klar zu trennen zwischen der Gruppe der Arzneimittel einerseits und der Gruppe der Verbandmittel andererseits.
3. Mittel, die als Arzneimittel iSd AMG zugelassen sind (hier: Guttaplast®), sind keine Verbandmittel iSd Sprechstundenbedarf-Vereinbarung Baden-Württemberg (Abrechnungsquartale II/2007 und IV/2007).
Tenor
Auf die Berufung der Klägerin werden das Urteil des Sozialgerichts Stuttgart vom 19.01.2012 und die Bescheide der Beklagten vom 12.11.2008 und 21.04.2009 in der Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 13.01.2010 aufgehoben und die Beklagte verurteilt, gegen die Beigeladene einen Sprechstundenbedarfsregress in Höhe von 232,20 € wegen der Verordnung von Guttaplast® als Sprechstundenbedarf in den Quartalen II/2007 und IV/2007 festzusetzen.
Die Beklagte trägt die Kosten des Verfahrens in beiden Rechtszügen, mit Ausnahme der außergerichtlichen Kosten der Beigeladenen.
Der Streitwert wird für das Berufungsverfahren endgültig in Höhe von 232,20 € festgesetzt.
Tatbestand
Im Streit steht die sachlich-rechnerische Richtigstellung der Verordnung von Guttaplast® als Sprechstundenbedarf (SSB) in den Quartalen II/2007 und IV/2007.
Die Beigeladene nimmt als Fachärztin für Dermatologie in G. an der vertragsärztlichen Versorgung teil. Zur Entfernung von Warzen verordnete sie am 24.05.2007 und am 16.10.2007 jeweils 30 Stück Guttaplast (6 x 9 cm) als SSB. Die Klägerin hat hierfür den abgebenden Apotheken insgesamt einen Betrag in Höhe von 232,20 € (netto) gezahlt. Nach den Fach- und Gebrauchsinformationen des Herstellers ist Guttaplast® ein wirkstoffhaltiges Pflaster zur Entfernung von starken Verhornungen, z.B. Hühneraugen, Schwielen oder Warzen. Guttaplast® ist als apothekenpflichtiges Arzneimittel zugelassen und der Stoffgruppe “Keratolytikum„ (= hornlösende Wirkstoffe) zugeordnet. Arzneilich wirksamer Bestandteil ist Salicylsäure, die eine Auflösung der interzellulären Kittsubstanzen und in der Folge die Ablösung der Verhornungen bewirkt. Das Pflaster wird in der Größe der betroffenen Hautstelle zurechtgeschnitten und auf die verhornte Haut geklebt. Eine zusätzliche Befestigung mit z.B. Fixierpflaster wird vom Hersteller empfohlen.
Die Klägerin beantragte jeweils am 29.05.2008 und 05.09.2008 die sachlich-rechnerische Richtigstellung der Verordnungen der Beigeladenen. Die Beklagte lehnte die Anträge mit Bescheiden vom 12.11.2008 und 21.04.2009 ab. Zur Begründung gab sie an, es handele sich um “mit Arzneimitteln imprägnierte Verbandstoffe„ im Sinne von Ziff. 5 (“Verbandmittel„) der Anlage 1 der SSB-Vereinbarung (SSB-V). Hiergegen legte die Klägerin am 24.11.2008 bzw. 28.04.2009 Widerspruch ein. Gemäß Lauer-Taxe sei Guttaplast® ein apothekenpflichtiges Arzneimittel. Unter Ziff. 3 (“Arzneimittel„) der Anlage 1 der SSB-V werde es jedoch nicht aufgeführt und sei daher nicht als SSB verordnungsfähig. Mit Widerspruchsbescheid vom 13.01.2010 wies die Beklagte die Widersprüche zurück. Die Begründung, dass es sich um ein apothekenpflichtiges Arzneimittel handele, schließe die Verordnung nach Ziff. 5 der Anlage 1 der SSB-V nicht aus, sondern sei Voraussetzung der Anwendung der SSB-V.
Am 09.02.2010 hat die Klägerin beim Sozialgericht Stuttgart (SG) Klage erhoben und zur Begründung vorgetragen, die in der SSB-V erwähnten “mit Arzneimitteln imprägnierten Verbandstoffe„ seien nicht als Arzneimittel, sondern als Medizinprodukte der Produktkategorie Verbandstoffe zugelassen und hätten auch die Funktion als Verbandstoff. Selbst wenn derartige Produkte verschreibungspflichtige Arzneimittel enthielten, blieben sie den Medizinprodukten zugeordnet. Guttaplast® habe keine Funktion als Verbandstoff. Das Pflaster sei lediglich Wirkstoffträger. Beispielsweise würden auch in der Hormon- und Schmerztherapie Pflaster als Arzneistoffträger verwendet, wobei es völlig abwegig sei, derartige Arzneimittel den Verbandstoffen zuzuordnen. In dem von der Beklagten herausgegebenen “Verordnungsforum 5„ vom Oktober 2007 sei Guttaplast® ausdrücklich als nicht SSB-verordnungsfähiges Warzenentfernungsmittel eingestuft. Aus nicht nachvollziehbaren Gründen enthalte das “Verordnungsforum 7„ vom Juni 2008 die gegenteilige Aussage, wonach Guttaplast® als SSB verordnungsfähig sei. Dies sei fehlerhaft, da es sich nicht um ein Verbandmittel handele. Es müsse differenziert werden zwischen “mit Arzneimitteln imprägnierten Verbandstoffen„, die als Medizinprodukte zugelassen seien, und Arzneimitteln. Vorliegend handele es sich um ein Arzneimittel. Unter den in der SSB-V genannten Arzneimitteln werde Guttaplast® nicht aufgeführt, weshalb die Verordnungsfähigkeit als SSB ausscheide. D...