Entscheidungsstichwort (Thema)
Ersatzzeit nach § 250 Abs 1 Nr 6 SGB 6. Sowjetzonenflüchtling. besondere Zwangslage. eingeschränkte Besuchsmöglichkeiten für DDR-Bürger zu Familienangehörigen in der BRD
Leitsatz (amtlich)
Eine durch die politischen Verhältnisse in der ehemaligen DDR bedingte besondere Zwangslage iS des § 3 BVFG ist nicht allein deshalb anzunehmen, weil der Betroffene, dessen Mutter als Rentnerin aus der DDR ausgereist ist, diese nur sehr eingeschränkt besuchen konnte.
Normenkette
BVFG §§ 3, 15 Abs. 2 Nr. 3 Fassung: 1963-11-22, § 100 Abs. 2; SGB VI § 54 Abs. 1 Nr. 1 Buchst. a, b, Nr. 2, Abs. 2-3, §§ 55, 63 Abs. 1, 2 S. 1, Abs. 3, §§ 64, 66 Abs. 1, § 250 Abs. 1 Nr. 6; SGB X § 31 S. 1, § 44
Tenor
Die Berufung des Klägers gegen das Urteil des Sozialgerichts Mannheim vom 20.07.2016 wird zurückgewiesen.
Außergerichtliche Kosten sind auch im Berufungsverfahren nicht zu erstatten.
Tatbestand
Die Beteiligten streiten über die Höhe der Regelaltersrente des Klägers im Hinblick auf eine Ersatzzeit vom 27. bis 28.02.1978.
Der 1949 geborene Kläger erlernte in der DDR den Beruf des (Schienenfahrzeug-) Elektrikers und war im erlernten Beruf bis August 1972 beschäftigt. Anschließend studierte er bis Juli 1975 an einer Ingenieurschule für Baustofftechnologie. Danach war er zunächst Fachgebietsleiter beim V. Baustoffversorgung G., danach wissenschaftlicher Mitarbeiter bei der H.-Bezirksdirektion G., anschließend redaktioneller Mitarbeiter bei den “T. Neueste Nachrichten„ und zuletzt Abteilungsleiter für Materialwirtschaft beim V. Gebäudewirtschaft in G.. Am 28.02.1978 trat der Kläger eine genehmigte Besuchsreise zu seiner lebensbedrohlich erkrankten Mutter in P. an, von welcher er nicht mehr in die DDR zurückkehrte. Seine Ehefrau und Tochter blieben in der DDR, die Ehe wurde 1979 geschieden.
In seinem Schreiben vom 06.03.1978 wegen Aufnahme in das Gebiet der BRD und seinem Antrag auf Erteilung einer Aufenthaltserlaubnis für das Bundesgebiet vom 12.03.1978 führte der Kläger aus, er habe seine Mutter wegen ihres Gesundheitszustandes nicht im Stich lassen können und sein weiteres Leben in freier Selbstbestimmung verbringen wollen. In der DDR habe er ständige Zugeständnisse und Kompromisse entgegen seiner eigentlichen Meinung eingehen müssen, zuletzt den Eintritt in eine Blockpartei, die NDPD. Er habe oftmals Schwierigkeiten bekommen, da seine Mutter im Westen gelebt habe.
Mit Beschluss des sog Aufnahmeausschusses vom 17.04.1978 wurde dem Kläger die Erlaubnis zum ständigen Aufenthalt im Bundesgebiet im Wege des Ermessens zur Familienzusammenführung erteilt. Die Entscheidung gilt nach ihrem Wortlaut ausdrücklich nicht als Entscheidung über die Flüchtlingseigenschaft.
1978 bis 1984 studierte der Kläger Philosophie, Psychologie und Kunstgeschichte mit dem Abschluss Magister artium. Anschließend war er berufstätig.
Auf seinen Antrag vom 22.07.2014 bewilligte ihm die Beklagte mit Bescheid vom 22.09.2014 Regelaltersrente beginnend ab 01.11.2014 mit einem Zahlbetrag iHv 980,09 €. Hierbei lehnte sie die Anerkennung der Zeit vom 27. bis 28.02.1978 als Ersatzzeit ab, weil die Zugehörigkeit des Klägers zum Personenkreis des Bundesvertriebenengesetzes (BVFG) nicht nachgewiesen sei.
Mit Schreiben vom 28.10.2014, bei der Beklagten eingegangen am 31.10.2014, wandte sich der Kläger gegen die Ablehnung der Ersatzzeit. Als er 1978 in die Bundesrepublik eingereist sei, habe er nicht mehr in die DDR zurückgekonnt, da er die Besuchsfrist wegen der Erkrankung seiner Mutter überschritten hatte und per Haftbefehl in der DDR gesucht worden sei als republikflüchtig. Erst 1990 habe er gewagt, seinen Bruder in Z. zu besuchen. Ergänzend legte er Unterlagen vor, die ihm der Bundesbeauftragte für die Unterlagen des Staatssicherheitsdienstes in der ehemaligen DDR überlassen hatte.
Die Beklagte wertete das Schreiben als Überprüfungsantrag und wandte sich an das Bundesverwaltungsamt. Nach Beiziehung der Akten über das Notaufnahmeverfahren aus dem Jahr 1978 sowie Anhörung des Klägers, der weitere Unterlagen vorlegte, lehnte die Beklagte die Rücknahme des Bescheids vom 22.09.2014 ab (Bescheid vom 26.05.2015). Die Überprüfung habe ergeben, dass die Zugehörigkeit zum berechtigten Personenkreis nach §§ 1 bis 4 BVFG durch einen Flüchtlingsausweis C nicht nachgewiesen sei; das Bundesverwaltungsamt habe eine Flüchtlingseigenschaft nicht bestätigen können.
Mit seinem am 04.06.2015 eingelegten Widerspruch machte der Kläger erneut geltend, er sei unstrittig als Flüchtling in die BRD gekommen. Er habe sich in der DDR in einer besonderen Zwangslage und unmittelbarer Gefahr für seine persönliche Freiheit befunden. In einem Schreiben an das Bundesverwaltungsamt vom 05.04.2015 habe er bereits ausgeführt, er sei seit seiner Kindheit von einer Tante in L. unterstützt worden, die er bis zu ihrem Tod 1973 nie habe besuchen dürfen, auch nicht zur Beerdigung. Seine Bewerbungen bei der DDR-Handelsmarine und -Fischfangflotte, um auf diese Weise das Land verlassen zu können, seien wege...