Entscheidungsstichwort (Thema)
Arbeitsförderung. Kurzarbeitergeldanspruch. Wirksamkeit der Antragstellung. Versäumung der Ausschlussfrist. Postübermittlungsrisiko. Zugangsnachweis durch den Antragsteller. Routingpost. eingescanntes Eingangsdatum. externer Scandienstleister. Unzulässigkeit der Wiedereinsetzung in den vorigen Stand. keine Nachsichtgewährung
Orientierungssatz
1. Der Antrag auf Kurzarbeitergeld wird als Willenserklärung erst in dem Zeitpunkt wirksam, in dem er bei der zuständigen Agentur für Arbeit zugeht. Dem Antragsteller obliegt der Zugangsnachweis auch dann, wenn die als Routing-Post versandten Anträge durch einen von der Bundesagentur für Arbeit zwecks Bearbeitung der Posteingänge beauftragten externen Dienstleister gescannt werden.
2. Bei der Frist des § 325 Abs 3 SGB 3 handelt es sich um eine gesetzliche Ausschlussfrist, so dass für eine Wiedereinsetzung in den vorigen Stand kein Raum verbleibt.
3. Eine Nachsichtgewährung kommt nicht in Betracht.
Tenor
Die Berufung der Klägerin gegen das Urteil des Sozialgerichts Berlin vom 31. Januar 2023 wird zurückgewiesen.
Außergerichtliche Kosten sind auch im Berufungsverfahren nicht zu erstatten.
Die Revision wird nicht zugelassen.
Gründe
I.
Die Klägerin begehrt die Zahlung von Kurzarbeitergeld (Kug) für vier Betriebsabteilungen für den Monat Mai 2020. Streitig ist die Einhaltung der Antragsfrist.
Die Klägerin ist eine Konzerngesellschaft und 100%ige Tochtergesellschaft der Deutschen Bahn (DB) AG. Am 30. April 2020 zeigte die zuständige Abteilung DB P für vier Betriebsabteilungen (F, L, D und K) pandemiebedingt einen erheblichen Arbeitsausfall an. Die Beklagte erkannte mit vier Bescheiden vom 26. Mai 2020 das Vorliegen eines erheblichen Arbeitsausfalls und der betrieblichen Voraussetzungen von Kug an und bewilligte den vom Entgeltausfall betroffenen Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmern der in Rede stehenden Betriebsabteilungen, sofern diese die persönlichen Voraussetzungen erfüllten, für die Zeit des Vorliegens aller Anspruchsvoraussetzungen Kug für die Zeit ab 1. April 2020 bis 31. Dezember 2020. Der Bescheid enthielt ferner folgenden Hinweis: „Das Kug ist jeweils für den Anspruchszeitraum (Kalendermonat) zu beantragen (vgl. Nr. 1 der Hinweise zum Antragsverfahren Kug). Es sind möglichst die Antragsvordrucke der Bundesagentur für Arbeit zu verwenden. Diese erhalten Sie bei der Agentur für Arbeit oder im Internet (www.arbeitsagentur.de). Diese Anträge müssen in einfacher Ausführung innerhalb einer Ausschlussfrist von drei Monaten zur Vermeidung von Rechtsnachteilen bei der Agentur für Arbeit …… eingereicht werden. Die Ausschlussfrist beginnt mit Ablauf des Kalendermonats, für den Kug beantragt wird. Aufgrund von Anträgen, die nach Ablauf der jeweils maßgeblichen Ausschlussfrist bei der Agentur für Arbeit eingehen, können keine Leistungen gewährt werden. Eine Zusammenfassung mehrerer Kalendermonate zur Wahrung der Ausschlussfrist ist nicht möglich“.
Mit am 25. August 2020 unterzeichneten Anträgen, die bei der Beklagten mit der Paginiernummer „(fortlaufende Dokumentnummer)“ versehen wurden, beantragte die Klägerin für die vier Betriebsabteilungen für die jeweils im Einzelnen bezeichnete Anzahl von Kurzarbeitern für den Monat Mai 2020 Kug und pauschalierte Erstattung von Sozialversicherungsbeiträgen iHv 58.143,22 € (F), 20.358,86 € (L), 39.802,88 € (D) bzw 69.564,53 € (K). Die Beklagte lehnte die Anträge ab, weil die Anträge nach Ablauf der Ausschlussfrist (31. August 2020) eingegangen seien (Bescheide vom 15. September 2020 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 19. Oktober 2020). Ein früherer Eingang, den die Klägerin zu beweisen habe, sei nicht feststellbar. Eine Wiedereinsetzung in den vorigen Stand bzw eine Nachsichtgewährung kämen nicht in Betracht.
Das Sozialgericht (SG) Berlin hat die auf Gewährung von Kug und pauschalierten Sozialversicherungsbeiträgen für den Monat Mai 2020 gerichtete Klage abgewiesen (Urteil vom 31. Januar 2023). Zur Begründung ist ausgeführt: Die Klage sei nicht begründet. Der Klägerin stehe für Mai 2020 kein Anspruch auf Kug zu. Sie habe die Frist des § 325 Abs. 3 Sozialgesetzbuch - Arbeitsförderung - (SGB III) nicht eingehalten. Ein Antragseingang vor dem 1. September 2020 sei nicht feststellbar. Aus der Paginierung der Anträge folge, dass diese am 1. September 2020 im Scanzentrum B als Tagespost mit einer internen Kennzeichnung des Scandienstleisters unter einer fortlaufenden Nummer eingescannt worden seien. Die Briefumschläge lägen nicht mehr vor. Die Beklagte habe den Scanvorgang plausibel dargelegt. Danach werde das Tagespostblatt in der Poststelle mit dem Tagesdatum, an dem der Brief tatsächlich eingehe, gedruckt. Dieses Eingangsdatum werde dann unabhängig davon, an welchem Tag der Scanvorgang erfolge, in die Paginierung übernommen. Es habe daher auch nicht der Vernehmung der benannten Mitarbeiterin E über die Modalitäten und den Zeitpunkt der Absendung bzw Postaufgabe der Anträge bedurft. Denn entscheidend sei der Ei...