Entscheidungsstichwort (Thema)
Hinreichend bestimmter Antrag auf Leistungen zur Teilhabe als Voraussetzung der Genehmigungsfiktion
Orientierungssatz
1. Nach § 18 Abs. 3 S. 1 SGB 9 gilt eine beantragte Leistung zur Teilhabe nach Ablauf einer Frist von zwei Monaten als genehmigt, soweit die Frist nicht durch eine begründete Mitteilung i. S. des § 18 Abs. 2 SGB 9 verlängert worden ist.
2. Der Lauf der Frist beginnt nur, wenn der Antrag so bestimmt gestellt ist, dass die auf Grundlage des Antrags fingierte Genehmigung ihrerseits i. S. des § 33 Abs. 1 SGB 10 hinreichend bestimmt ist.
3. Beantragt der an einer tiefgreifenden Kommunikationseinschränkung leidende Antragsteller die Versorgung mit einer Sprachheil-Rehabilitation, welche ihm die Chance für einen Einstieg in eine sukzessive fortzuentwickelnde Kommunikationskompetenz eröffnet, so handelt es sich hierbei um einen i. S. des § 33 Abs. 1 SGB 10 hinreichend bestimmten Antrag gemäß § 17 SGB 9.
Tenor
Auf die Beschwerde des Antragstellers wird die Antragsgegnerin unter Änderung des Beschlusses des Sozialgericht Berlin vom 23. September 2019 im Wege der einstweiligen Anordnung verpflichtet, dem Antragsteller vorläufig Leistungen zur Kinderrehabilitation in Form einer Sprachheil-Rehabilitation in der Rehabilitationsklinik W in B im zeitlichen Umfang von vier Wochen, längstens jedoch bis zum rechtskräftigen Abschluss des Klageverfahrens vor dem Sozialgericht Berlin zu gewähren.
Im Übrigen wird die Beschwerde zurückgewiesen.
Die Antragsgegnerin hat dem Antragsteller dessen außergerichtliche Kosten des Beschwerdeverfahrens in vollem Umfang zu erstatten. Im Übrigen bleibt es bei der Kostenentscheidung des Sozialgerichts.
Gründe
Die Beschwerde gegen den Beschluss des Sozialgerichts Berlin hat in dem aus dem Tenor ersichtlichen Umfang Erfolg.
Der Hauptantrag des am 16. September 2013 geborenen Antragstellers ist dahingehend zu verstehen, ihm im Wege der einstweiligen Anordnung eine Sprachheil-Rehabilitation in der Rehabilitationsklinik W zu g e w ä h r e n. Zwar beantragt er wörtlich, ihm die genannte Rehabilitation zu b e w i l l i g e n. Der Wortlaut ist jedoch nicht entscheidend; maßgeblich ist vielmehr das tatsächliche Begehren des Antragstellers. Dieses ist, wie sich eindeutig aus der Antragsbegründung ergibt, nicht etwa auf die (vorläufige) Verpflichtung der Antragsgegnerin zum Erlass eines entsprechenden Bescheides gerichtet, sondern auf deren (vorläufige) Verpflichtung, ihn mit den begehrten Leistungen tatsächlich zu versorgen. Denn der Antragsteller bringt vor, zu seinen Gunsten sei gegen die Antragsgegnerin ein Anspruch auf Versorgung mit der Sprachheil-Rehabilitation bereits dadurch entstanden, dass die von ihm beantragte Leistung als genehmigt gelte. Eines weiteren Bescheides, den er zu erstreiten hätte, bedarf es deshalb nicht. Im Hauptsacheverfahren wäre zur Durchsetzung dieses „Naturalleistungsanspruchs“ (so Bundessozialgericht [BSG] Urteil vom 8. März 2016 - B 1 KR 25/15 R -, BSGE 121, 40) die allgemeine Leistungsklage die statthafte Verfahrensart (vgl. BSG, Urteil vom 26. Februar 2019 - B 1 KR 18/18 R -, NZS 2019, 920), nicht aber die Verpflichtungsklage im Sinne des § 54 Abs. 1 Satz 1 Sozialgerichtsgesetz (SGG).
Nach § 86b Abs. 2 Satz 2 SGG kann das Gericht der Hauptsache eine einstweilige Anordnung auch zur Regelung eines vorläufigen Zustandes in Bezug auf ein streitiges Rechtsverhältnis erlassen, wenn eine solche Regelung zur Abwendung wesentlicher Nachteile notwendig erscheint.
Diese Voraussetzungen liegen bezogen auf die vorläufige Verpflichtung der Antragsgegnerin vor, dem Antragsteller Leistungen zur Kinderrehabilitation in Form einer Sprachheil-Rehabilitation in der Rehabilitationsklinik W in B im zeitlichen Umfang von vier Wochen, längstens jedoch bis zum rechtskräftigen Abschluss des Klageverfahrens vor dem Sozialgericht Berlin zu gewähren.
Der Antragsteller hat einen Anordnungsanspruch glaubhaft gemacht. Hieran sind im vorliegenden Verfahren vor dem Hintergrund des Art. 19 Abs. 4 Grundgesetz zur Gewährung effektiven Rechtsschutzes keine strengen Anforderungen zu stellen. Denn der Antragsteller, der nach dem Schreiben des ihn behandelnden Facharztes für Kinder- und Jugendmedizin Dr. H vom 30. September 2019 / 15. November 2019 an einer tiefgreifenden Kommunikationseinschränkung leidet, begehrt hier mit der Sprach-Rehabilitation Leistungen, welche ihm die Chance für einen Einstieg in eine sukzessive fortzuentwickelnde Kommunikationskompetenz eröffnen und insoweit dessen Teilhabe am Leben in der Gesellschaft ermöglichen sollen, die sicherzustellen der Staat verfassungsrechtlich verpflichtet ist.
Nach § 18 Abs. 3 Satz 1 Sozialgesetzbuch, Neuntes Buch (SGB IX) gilt die beantragte Leistung zur Teilhabe nach Ablauf einer Frist von zwei Monaten (§ 18 Abs. 1 SGB IX) als genehmigt, soweit die Frist nicht durch eine begründete Mitteilung im Sinne des § 18 Abs. 2 SGB IX verlängert wurde.
Maßgebliches Ereignis für den Lauf der Frist ist der Antragseingang (§ 18 Abs. ...