Entscheidungsstichwort (Thema)
Anspruch auf einen Zahlbetrag aus der Hinterbliebenenrente bei eigenem Beschäftigungsverhältnis. Sachaufklärungspflicht des Rentenversicherungsträgers bei Änderungen des Krankenversicherungsverhältnisses eines Hinterbliebenenrentenbeziehers. Nachträgliche Anrechnung von Einkommen auf eine Hinterbliebenenrente. Ausübung von Ermessen. Mitverschulden der Behörde. Atypischer Fall
Leitsatz (redaktionell)
1. Die Aufhebung eines Witwenrentenbescheids wegen Einkommensbezugs bereits zu Rentenbeginn richtet sich ungeachtet dessen, dass eine Anrechnung erst nach Ablauf des Sterbevierteljahrs zu erfolgen hat, nach § 45 Abs. 1 SGB X.
2. Selbst bei Bösgläubigkeit des Betroffenen ist eine Ermessensbetätigung im Rahmen von § 45 SGB X notwendig.
3. Ein Mitverschulden der Behörde ist anzunehmen, wenn diese vom Krankenversicherungsträger des Betroffenen Informationen über die Änderung des Krankenversicherungsverhältnisses erhält, die auf anderweitiges Einkommen des Betroffenen hindeuten, ohne diesen nachzugehen.
4. Die Frage, ob ein atypischer Fall des § 48 Abs. 1 SGB X vorliegt, ist nicht im Wege der Ermessensausübung, sondern als Rechtsvoraussetzung zu prüfen.
Orientierungssatz
1. Es besteht bei Erlass eines Bewilligungsbescheides kein Anspruch auf einen Zahlbetrag aus der Hinterbliebenenrente, wenn aufgrund eines ungekündigten Beschäftigungsverhältnisses und der Höhe des daraus erzielten Arbeitsentgeltes, das die Jahresarbeitsentgeltgrenze überschreitet, kein Anspruch auf einen Zahlbetrag aus der Hinterbliebenenrente. Einkommen von Berechtigten, das mit einer Witwenrente zusammentrifft, ist nach § 97 Abs. 1 S. 1 und 2 SGB VI (juris: SGB 6) nach Ablauf des Sterbevierteljahres anzurechnen.
2. Bei Änderungen des Krankenversicherungsverhältnisses bei einem Hinterbliebenenrentenbezieher, der seinen Rentenanspruch aus der Versicherung eines anderen ableitet, der selbst Mitglied in der Krankenversicherung der Rentner war, und damit nach § 5 Abs. 2 S. 2 SGB V, Fassung: 2013-03-01, (juris: SGB 5) ebenfalls versicherungspflichtig in der Krankenversicherung der Rentner ist, muss dem Rentenversicherungsträger die Sachlage zumindest klärungsbedürftig erscheinen, da sie auf anderweitiges Einkommen hindeutet ( § 6 Abs. 2 S. 1, Abs. 1 Nr. 1 SGB V, Fassung: 2001-03-01, (juris: SGB 5)).
Normenkette
SGB X § 45 Abs. 1, § 48 Abs. 1; SGB VI § 97 Abs. 2 S. 1 Nr. 1, § 228a Abs. 3
Tenor
Auf die Berufung der Klägerin wird das Urteil des Sozialgerichts Berlin vom 5. März 2010 aufgehoben sowie der Bescheid der Beklagten vom 11. Oktober 2006 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 30. Oktober 2007 insofern aufgehoben, als dort eine Neuberechnung der Rente für den Zeitraum vom 1. April 2001 bis zum 30. November 2006 vorgenommen und eine Erstattung von 37.449,13 Euro geltend gemacht worden ist.
Die Beklagte hat die notwendigen außergerichtlichen Kosten der Klägerin des gesamten Verfahrens zu erstatten.
Die Revision wird nicht zugelassen.
Tatbestand
Die Klägerin wendet sich gegen einen Aufhebungs- und Erstattungsbescheid der Beklagten wegen der nachträglichen Anrechnung von Einkommen auf eine Hinterbliebenenrente.
Die 1949 geborene und in der H.straße in B wohnende Klägerin beantragte am 28. Dezember 2000 bei der Beklagten die Gewährung einer großen Witwenrente nach ihrem am 10. Dezember 2000 verstorbenen Ehemann H-J R, der bis zu seinem Tod eine Altersrente von der Beklagten bezogen hatte und Mitglied in der Krankenversicherung der Rentner war. In der Anlage zum Antrag auf Hinterbliebenenrente “Angaben zum Einkommen der Witwe […]„ kreuzte die Klägerin unter dem 25. Dezember 2000 bei der Frage nach dem Bezug von Arbeitsentgelt, Arbeitseinkommen, vergleichbarem Einkommen, kurzfristigem und dauerhaftem Erwerbsersatzeinkommen ebenso “Nein„ an wie bei der Frage nach dem Bezug dieser Einkommensarten im letzten Kalenderjahr. Mit ihrer Unterschrift versicherte die Klägerin, dass sämtliche Angaben nach bestem Wissen gemacht worden seien, und verpflichtete sich, Änderungen bezüglich der Höhe des eigenen Einkommens sowie die Zahlung bzw. Beantragung der erfragten Einkünfte unverzüglich bekanntzugeben. Die Beklagte bewilligte der Klägerin daraufhin ohne Anrechnung von Einkommen mit Bescheid vom 31. Januar 2001 ab dem 1. Januar 2001 eine große Witwenrente, die sich nach Ablauf des Sterbevierteljahres ab April 2001 auf monatlich 1.432,47 DM abzüglich Beiträgen zur Kranken- und Pflegeversicherung in Höhe von insgesamt 113,87 DM belief. Unter dem Punkt “Mitteilungspflichten„ enthielt der Rentenbescheid den Hinweis, dass Erwerbseinkommen und Erwerbsersatzeinkommen Einfluss auf die Rentenhöhe haben können und daher die gesetzliche Verpflichtung bestehe, der Beklagten den Bezug, das Hinzutreten oder die Veränderung von Erwerbseinkommen in Form von Arbeitsentgelt, Einkommen aus selbständiger Tätigkeit sowie vergleichbarem Einkommen oder von Erwerbsersatzeinkommen unverzüglich mitzuteilen. Weiter heißt es: “Die Meldung von Veränderungen erübrigt si...