Entscheidungsstichwort (Thema)
Gesetzliche Rentenversicherung: Große Witwenrente. Rücknahme wegen verschwiegenem Einkommens. Vertrauensschutz. Anforderungen an die Bestimmtheit eines Rücknahmebescheides
Orientierungssatz
1. Das Verschweigen eines Erwerbseinkommens bei der Beantragung einer großen Witwenrente stellt eine mindestens grob fahrlässige Falschangabe dar, auch wenn im Antragsformular nach Einkommen seit Rentenbeginn gefragt wird und das Erwerbseinkommen auch schon vor Eintritt des Rentenanspruchs aus der Witwenrente bezogen wurde.
2. Ein Bescheid, der sich auf Tatsachen und Umstände bezieht, die dem Adressaten in weiteren Bescheiden bekannt gemacht wurden (hier: Rücknahme eines Rentenbescheides und Bezugnahme auf eine Rentenberechnung zur Bestimmung der Höhe des Rückforderungsbescheides), ist hinreichend bestimmt.
3. Hat ein Betroffener im Verwaltungs- und Widerspruchsverfahren bezüglich der Rücknahme eines begünstigenden Verwaltungsaktes keine Gründe vorgetragen, die für die Ermessensentscheidung über die Rücknahme relevant sind, ist es ausreichend, wenn die Behörde ihre Ermessensausübung im Bescheid dadurch dokumentiert, dass sie ausführt, in Ausübung pflichtgemäßen Ermessens von der (auch teilweisen) Rücknahme nicht absehen zu können.
4. Einzelfall zur Berechnung der großen Witwenrente bei Zusammentreffen mehrerer Einkommensarten.
Tenor
Die Berufung der Klägerin gegen den Gerichtsbescheid des Sozialgerichts Berlin vom 14. Mai 2010 wird zurückgewiesen.
Die Beteiligten haben einander außergerichtliche Kosten auch des Berufungsverfahrens nicht zu erstatten.
Die Revision wird nicht zugelassen.
Tatbestand
Die Klägerin wendet sich gegen die Rücknahme eines große Witwenrente gewährenden Bescheides hinsichtlich der Rentenhöhe für die Zeit vom 01. November 2005 bis 31. Mai 2007 und Erstattung von 1 819,99 €.
Die 1938 geborene, im Beitrittsgebiet wohnhafte Klägerin ist die Witwe des 1935 geborenen und 2005 verstorbenen R G, mit dem sie seit 1960 verheiratet war.
Die Klägerin war vom 15. Mai 2005 bis 31. Mai 2007 gegen Arbeitsentgelt beschäftigt. Sie bezog außerdem ab 01. August 2005 Altersrente für Frauen in Höhe von 673,99 € monatlich bei einem Zahlbetrag von 607,26 € monatlich bis wenigstens 31. Mai 2007 (Bescheid vom 25. Juli 2005).
Im Juli 2005 beantragte die Klägerin Witwenrente. Sie gab auf die beiden Fragen “Beziehen oder bezogen Sie ab Beginn der Rente wegen Todes aus einem oder mehreren abhängigen Beschäftigungsverhältnissen Arbeitsentgelt bzw. eine der nachstehenden Leistungen (u. a. Rente aus eigener Versicherung aus der Rentenversicherung)„ an, kein Arbeitsentgelt, aber Rente aus eigener Versicherung zu beziehen.
Mit Bescheid vom 15. August 2005 bewilligte die Beklagte der Klägerin große Witwenrente ab 01. August 2005, die für den jeweiligen Monat zum Monatsanfang ausgezahlt werde. Sie legte dieser Rente 0,5933 persönliche Entgeltpunkte und 35,3582 persönliche Entgeltpunkte (Ost) zugrunde. Sie ermittelte für die Zeit ab 01. August 2005 nach einem Rentenartfaktor von 1,0 eine monatliche Rente von 827,68 € bei einem monatlichen Zahlbetrag von 745,74 € und für die Zeit ab 01. November 2005 nach einem Rentenartfaktor von 0,6 eine monatliche Rente von 496,61 €. Die Beklagte verfügte zudem, dass die monatliche Rente ab 01. November 2005 um das anzurechnende Einkommen von 0,34 € - Anlage 8 - auf 496,27 € zu mindern ist, und setzte den Zahlbetrag auf 447,13 € fest. In Anlage 8 Seite 1 des Bescheides (Ermittlung des auf die Rente anzurechnenden Einkommens) wird dargelegt: Die Rente trifft mit Einkommen zusammen. Es ist deshalb zu prüfen, ob auf die Rente Einkommen anzurechnen ist. Hierfür ist das zu berücksichtigende monatliche Einkommen zu ermitteln. Berechnung für die Zeit ab 01. August 2005: Das monatliche Einkommen ist aus dem Erwerbsersatzeinkommen für August 2005 zu ermitteln. Erwerbsersatzeinkommen ist die Versichertenrente aus der gesetzlichen Rentenversicherung. Monatlicher Zahlbetrag 607,26 €. Die Rente ist bereits um den Beitragsanteil zur Kranken- und Pflegeversicherung vermindert. Auf die Rente ist das Einkommen anzurechnen, das das 26,4-Fache des aktuellen Rentenwertes (Ost) von 22,97 € (Freibetrag) übersteigt: 22,97 € x 26,4 = 606,41 €. Das Einkommen übersteigt den Freibetrag um 0,85 €. Hiervon sind 40 v. H. anzurechnen.
Mit Bescheid vom 21. Mai 2006 nahm die Beklagte zum 01. Juli 2006 unter Aufhebung des bisherigen Bescheides hinsichtlich der Rentenhöhe eine Neuberechnung vor, wobei sie unverändert den monatlichen Zahlbetrag bei einer monatlichen Rente von 496,61 Euro und einem anzurechnenden Einkommen von 0,34 Euro auf 447,13 Euro festsetzte.
Nachdem der Beklagten am 03. Mai 2007 maschinell eine Entgeltzahlung in Höhe von 1 600,00 € für das Jahr 2006 übermittelt worden war, holte sie die Auskünfte der B GmbH vom 25. Juni 2007 und 10. Juli 2007 ein.
Daraufhin teilte die Beklagte der Klägerin mit Schreiben vom 21. August 2007 mit, es sei beabsichtigt, den Bescheid vom 15. August 2005 für die Zeit vom ...