Entscheidungsstichwort (Thema)
Sozialgerichtliches Verfahren. Sachverständigenvergütung. Vergütungsfestsetzungsverfahren. vollumfassende Prüfung durch das Gericht. Bemessung des Honorars nach Stundensätzen. vergütungsfähiger Zeitaufwand. Ermittlung anhand eines abstrakten Maßstabs. Bestimmung des Zeitaufwands für "Aktenstudium und vorbereitende Arbeiten". Zugrundelegung eines einheitlichen Durchschnittswerts. Bestimmung des vergütungsfähigen Zeitaufwands für den Arbeitsschritt "Abfassung der Beurteilung"
Leitsatz (amtlich)
1. Im Vergütungsfestsetzungsverfahren nach § 4 JVEG aF hat das Gericht eine vollumfassende Prüfung des Entschädigungs- oder Vergütungsanspruchs vorzunehmen.
2. Bei der Honorarbemessung für ein Sachverständigengutachten nach Stundensätzen gemäß §§ 8 Abs 2 S 1, 9 JVEG aF ist der vergütungsfähige Zeitaufwand anhand eines am Grundsatz der Erforderlichkeit orientierten abstrakten Maßstabs zu bestimmen.
3. Für den Arbeitsschritt "Aktenstudium und vorbereitende Arbeiten" erachtet der Senat zur Ermittlung des erforderlichen Zeitaufwandes sowie aus Gründen der Praktikabilität und der Handhabbarkeit für die Kostenbeamtinnen und -beamten einen einheitlichen Durchschnittswert von 100 Aktenseiten pro Stunde - unabhängig vom medizinischen Anteil - für angemessen.
Orientierungssatz
1. Zur Gewährleistung eines objektiven Maßstabs ist die Erstellung eines Gutachtens hinsichtlich des erforderlichen Zeitaufwandes in folgende vier vergütungspflichtige Arbeitsschritte zu gliedern (vgl LSG Essen vom 3.2.2020 - L 15 KR 690/19 B und vom 25.2.2005 - L 4 B 7/04 = MedR 2005, 732):
- Aktenstudium und vorbereitende Arbeiten,
- Untersuchung und Anamnese,
- Abfassung der Beurteilung (Ausarbeitung),
- Diktat und Durchsicht (Korrektur).
2. Der Senat geht in Fortführung der bisherigen Rechtsprechung des LSG Celle-Bremen und im Hinblick darauf, dass dies von der überwiegenden Zahl der Landessozialgerichte auch so gehandhabt wird, weiterhin davon aus, dass das Verfassen einer Standardseite einschließlich einer etwaigen üblichen Literatur- und/oder Rechtsprechungsrecherche und deren Auswertung etwa eine Stunde dauert. Dabei sind jedoch nur die Standardseiten zu berücksichtigen, welche die nähere Begründung des Gutachtens enthalten, die das Gericht bei seiner Entscheidung verwerten kann, um ohne medizinischen Sachverstand seine Entscheidung begründen zu können. Nur dieses "Kernstück" des Gutachtens, also nur die eigentlichen Ergebnisse des Gutachtens einschließlich ihrer argumentativen Begründung, sind bei dem Arbeitsschritt "Abfassung der Beurteilung" (Ausarbeitung) vergütungsfähig.
3. Die Entscheidung ist durch Beschluss des LSG Celle-Bremen vom 27.8.2021 - L 7 KO 3/20 (U) berichtigt worden.
Tenor
Die Vergütung der Antragstellerin für ihr im Verfahren L 14 U 59/19erstattetes Sachverständigengutachten wird auf 2.210,79 Euro festgesetzt.
Kosten sind nicht zu erstatten.
Gründe
I.
Die Antragstellerin begehrt die richterliche Festsetzung der Vergütung für ein von ihr erstattetes, gerichtlich angefordertes Sachverständigengutachten.
Im zugrundeliegenden Klageverfahren beim Landessozialgericht (LSG) Niedersachsen-Bremen zum Aktenzeichen L 14 U 59/19 stritten die dortigen Beteiligten um die Folgen eines am 31. Juli 2013 erlittenen Arbeitsunfalls des dortigen Klägers E., dem während seiner beruflichen Tätigkeit sein linker Fuß zwischen zwei Paletten eingequetscht wurde. Im Laufe des Berufungsverfahrens wurde die Antragstellerin mit Beweisanordnung vom 8. Oktober 2019 mit der Erstattung eines neurologischen Gutachtens nach ambulanter Untersuchung des Klägers beauftragt. Explizit fragte das LSG dabei u.a. danach, für welche Gesundheitsstörungen aus medizinischer Sicht mit hinreichender Wahrscheinlichkeit ein ursächlicher Zusammenhang im Sinne der Bedingungstheorie mit dem Unfallereignis am 31. Juli 2013 bestehe. Das 21-seitige schriftliche Gutachten wurde dem LSG im Erörterungstermin am 13. Januar 2020 von der Antragstellerin übergeben und mündlich erläutert. Wegen der Einzelheiten des Gutachtens wird auf die Gerichtsakte L 14 U 59/19 Bezug genommen.
Für die Gutachtenerstellung inklusive Aktenstudium und Untersuchung des Klägers machte die Antragstellerin mit Rechnung vom 14. Januar 2020 die Festsetzung von 4.290,68 Euro geltend. Sie setzte dabei für das Aktenstudium 8 Stunden, für die Untersuchung des Klägers 3 Stunden, für die Ausarbeitung 15 Stunden, für Diktat und Korrektur 5 Stunden sowie für die An- und Abreise zum Erörterungstermin einschließlich dessen Wahrnehmung 4 Stunden an, insgesamt also 35 Stunden. Diese multiplizierte sie mit dem Betrag von 100,00 Euro, weil sie ihr Gutachten der Honorargruppe M3 zuordnete. Außerdem machte sie Schreibauslagen geltend in Höhe von 36,90 Euro (41.000 Anschläge x 0,90 Euro), Kopierkosten in Höhe von 23,00 Euro (46 Kopien x 0,50 Euro), Portoauslagen in Höhe von 7,39 Euro, Fahrtkosten in Höhe von 38,32 Euro und Umsatzsteuer in Höhe von 685,07 Euro.
Die zuständige Urkundsbeamtin der Geschäftsstelle (UdG) über...