Entscheidungsstichwort (Thema)
Rentenversicherung. selbständiger Rechtsanwalt. Pflichtmitgliedschaft in berufsständischer Versorgungseinrichtung. Antragspflichtversicherung. kein Befreiungsrecht von der selbst beantragten Pflichtversicherung nach § 6 Abs 1 S 1 SGB 6. Verfassungsmäßigkeit
Leitsatz (amtlich)
Ein Antragspflichtversicherter im Sinne des § 4 Abs 2 SGB 6, der diese Pflichtversicherung in Kenntnis einer bereits zuvor bestehenden Pflichtmitgliedschaft in einem berufsständischen Versicherungs- oder Versorgungswerk beantragt hat, kann vorbehaltlich einer wesentlichen Veränderung in den Verhältnissen keine Befreiung von der selbst beantragten Pflichtversicherung gemäß § 6 Abs 1 SGB 6 beanspruchen.
Orientierungssatz
Diese Rechtslage verstößt weder gegen Art 2 Abs 1 GG, noch gegen Art 3 Abs 1 GG noch gegen den Verfassungsgrundsatz der Verhältnismäßigkeit.
Tenor
Die Berufung wird zurückgewiesen.
Kosten sind nicht zu erstatten.
Die Revision wird nicht zugelassen.
Tatbestand
Die Beteiligten streiten darum, ob der Kläger gegen die Beklagte bezüglich seiner Tätigkeit als selbstständiger Rechtsanwalt einen Anspruch auf Befreiung von der Versicherungspflicht in der gesetzlichen Rentenversicherung hat.
Der Kläger, der bis zum 07.04.1989 sozialversicherungspflichtig beschäftigt war, wurde am 17.01.1989 vom Präsidenten des Oberlandesgerichts I. als Rechtsanwalt zugelassen. Seit dem 01.03.1989 übt er als Rechtsanwalt eine selbstständige Tätigkeit aus und ist ab diesem Tag Pflichtmitglied im Niedersächsischen Versorgungswerk der Rechtsanwälte (RVN).
Mit am 11.05.1989 bei der Bundesversicherungsanstalt für Angestellte (BfA), deren Rechtsnachfolgerin die Beklagte ist, eingegangenem Schreiben stellte er einen Antrag auf bargeldlose Beitragsentrichtung in der Angestelltenversicherung. In dem Antragsvordruck kreuzte der Kläger an, dass er diesen Antrag "für eine Pflichtversicherung von Selbständigen" (und nicht für eine freiwillige Versicherung) stellen wollte. Unter Ziffer 2 des Formulars (Bisheriges Versicherungsverhältnis) gab er an, bis zum 07.04.1989 bereits Beiträge zur Rentenversicherung an die BfA entrichtet zu haben. Daraufhin teilte ihm die BfA mit - bestandskräftigem - Bescheid vom 31.05.1989 mit, dass er “vom 01.05.1989 an der Versicherungspflicht in der Rentenversicherung der Angestellten für die Dauer der selbstständigen Erwerbstätigkeit„ unterliege. In den folgenden Jahren zahlte der Kläger Pflichtbeiträge sowohl bei der RVN als auch bei der BfA.
In einem 02.01.2003 bei der BfA per Telefax eingegangenem Schreiben vom 31.12.2002 beantragte der Kläger unter Hinweis auf seine Mitgliedschaft in der RVN gemäß § 6 des Sozialgesetzbuchs - Sechstes Buch - (SGB VI) die Befreiung von der Versicherungspflicht. Mit Bescheid vom 31.03.2003 lehnte die Beklagte diesen Antrag mit der Begründung ab, für den Kläger komme eine Befreiung nicht in Betracht, weil er sich in Kenntnis seiner bereits bestehenden Pflichtmitgliedschaft bei der RVN zusätzlich noch gesetzlich rentenversichert, also bewusst eine doppelte Versorgung vorgenommen habe. Den hiergegen eingelegten Widerspruch wies die Beklagte mit Widerspruchsbescheid vom 11.12.2003, zugestellt am 16.12.2003, unter Hinweis auf die Rechtsprechung des Bundessozialgerichts (BSG - Urteil vom 08.12.1982, 12 RK 15/80) zurück.
Am 16.01.2004 hat der Kläger Klage erhoben und vorgetragen, das Urteil des BSG aus dem Jahre 1982 überzeuge ihn nicht. Wenn er freiwillig eine doppelte Alterssicherung begründen dürfe, müsse er diesen Zustand auch aus eigener Willensentscheidung jederzeit beenden können. Da die RVN-Versorgung ihm einen ausreichenden Schutz zur Altersvorsorge biete, sei eine weitergehende Absicherung nicht mehr nötig. Eine fortgesetzte Zwangsmitgliedschaft bei der Beklagten schränke ihn in seiner nach Art. 2 des Grundgesetzes (GG) geschützten Entscheidungsfreiheit ein. Überdies verstoße die von der Beklagten vorgenommene Auslegung des § 6 Abs. 1 SGB VI dann gegen Art. 3 GG, wenn Antragspflichtversicherte wie er bei der Einräumung von Befreiungsmöglichkeiten unberücksichtigt blieben. Zu folgen sei vielmehr der Rechtsansicht des Bayerischen Landessozialgerichts, das in einem Urteil vom 06. Mai 1999 zum Aktenzeichen L 14 RA 42/98 in einem vergleichbaren Fall bei anderweitiger Absicherung dem Selbstständigen eine Kündigungsmöglichkeit einräume.
Das Sozialgericht hat die Klage mit Urteil vom 08.05.2007 abgewiesen. Unter Anwendung der vom BSG im Urteil vom 08.12.1982 aufgestellten Rechtsgrundsätze hat es das Vorliegen der Tatbestandsvoraussetzungen des § 6 Abs. 1 SGB VI verneint, weil das Befreiungsbegehren des Klägers rechtsmissbräuchlich sei. Der in Bezug genommenen Rechtsansicht des Bayerischen Landessozialgerichts sei nicht zu folgen. Auch wenn das BSG-Urteil noch zum seinerzeit geltenden § 7 Abs. 2 des Angestelltenversicherungsgesetzes (AVG) ergangen sei, gälte der Grundsatz von Treu und Glauben nach wie vor. Niemand dürfe sich bei der Ausübung eines Rechts in Widerspruch zu seinem früh...