Entscheidungsstichwort (Thema)
Versagung bzw. Entziehung von Sozialleistungen wegen fehlender Mitwirkung. Mitteilung von Änderungen. Vorlage von Beweisurkunden. Zufluss von Arbeitsentgelt. Adressat eines Versagungsbescheids. Klagebefugnis. Anfechtungsklage. Streitgegenstand. Doppelte Rechtshängigkeit
Orientierungssatz
1. Sozialleistungen dürfen nach § 66 Abs. 3 SGB 1 wegen fehlender Mitwirkung nur versagt oder entzogen werden, nachdem der Leistungsberechtigte auf diese Folge schriftlich hingewiesen worden ist und seiner Mitwirkungspflicht nicht innerhalb einer ihm gesetzten angemessenen Frist nachgekommen ist.
2. Die in § 60 Abs. 1 Nr. 2 SGB 1 festgelegten Mitwirkungsobliegenheiten beziehen sich bei antragsabhängigen Leistungen auf den Zeitraum, in dem Leistungen bezogen werden. Hierzu zählt die Pflicht zur unverzüglichen Mitteilung von Änderungen in den Verhältnissen, die für die Leistung erheblich sind oder über die im Zusammenhang mit der Leistung Erklärungen abgegeben wurden.
3. Der Umstand, dass der Leistungsberechtigte eine Urkunde nicht in seinem Besitz hat, sondern sie erst beschaffen muss, steht der Mitwirkungspflicht nicht entgegen. Hierbei sind jedoch die sich aus § 65 Abs. 1 Nr. 3 SGB 1 ergebenden Grenzen der Mitwirkung zu beachten.
Normenkette
SGB I § 66 Abs. 1 S. 1, Abs. 3, § 60 Abs. 1 Nrn. 2-3, § 65 Abs. 1 Nr. 3; SGB II §§ 57, 60 Abs. 3; SGG § 54 Abs. 2, 4, §§ 73a, 96, 103 Abs. 1 S. 1
Tenor
Auf die Beschwerde der Klägerin zu1) wird der Beschluss des Sozialgerichts Dortmund vom 03.12.2015 geändert. Der Klägerin zu 1) wird Prozesskostenhilfe für das erstinstanzliche Verfahren ohne Kostenbeteiligung bewilligt und Rechtsanwalt I, C beigeordnet. Im Übrigen wird die Beschwerde zurückgewiesen.
Gründe
I.
Die Klägerin zu 1) ist litauische Staatsangehörige. Die Kläger zu 2) bis zu 4) sind ihre minderjährigen Kinder. Die Kläger halten sich seit Mai/Juni 2014 in der Bundesrepublik auf. Vater des Klägers zu 4) ist der litauische Staatsangehörige C, mit dem die Kläger zusammen wohnen.
Der Beklagte lehnte mit Bescheid vom 26.06.2014 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 05.08.2014 den Antrag der Klägerin zu 1) auf Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhalts vom 12.06.2014 unter Berufung auf § 7 Abs. 1 S. 2 Nr. 2 SGB II ab. Hiergegen haben die Kläger Klage (S 31 AS 3244/14) erhoben.
Die Klägerin zu 1) und Herr C nahmen im Oktober 2014 abhängige Erwerbstätigkeiten auf. Im einstweiligen Rechtschutzverfahren - L 6 AS 1888/14 B ER - verpflichtete sich die Klägerin zu 1) in einem gerichtlichen Vergleich, die Lohnabrechnungen des Herrn C und ihre eigenen Lohnabrechnungen jeweils umgehend nach Erhalt dem Beklagten vorzulegen. Der Beklagte erkannte den Anspruch der Klägerin zu 1) dem Grunde nach an und erklärte sich bereit, Leistungen ab dem 01.10.2014 unter Berücksichtigung des Einkommens der Klägerin zu 1) und Herrn C vorläufig zu bewilligen. Dabei werde er berücksichtigen, dass nach derzeitigem Stand der Klägerin zu 1) und des Herrn C im Monat Oktober kein Einkommen aus Arbeitstätigkeiten zugeflossen sei.
Mit Bescheid vom 29.06.2015 bewilligte der Beklagte den Klägern und Herrn C als Bedarfsgemeinschaft auf den Antrag der Klägerin zu 1) vom 12.06.2014 vorläufig Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhalts für die Zeit vom 01.02.2015 bis zum 31.07.2015.
Auf den Folgeantrag der Klägerin zu 1) vom 15.07.2015 bewilligte der Beklagte der Bedarfsgemeinschaft, bestehend aus den Klägern und Herrn C, für die Zeit vom 01.08.2015 bis zum 31.01.2016 vorläufig Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhalts.
Mit Schreiben vom 15.12.2014 forderte der Beklagte die Klägerin zu 1) auf, zur abschließenden Klärung des Anspruchs auf Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhalts, unter Vorlage bestimmter Unterlagen und Nachweise mitzuwirken. Mit Schreiben vom 16.01.2015, 06.02.2015, 13.04.2015 und 01.06.2015 erinnerte der Beklagte an die Vorlage bestimmter Unterlagen und Nachweise. Mit Schreiben vom 29.06.2015 teilte der Beklagte mit, dass für die Bewilligung von Oktober 2014 bis Januar 2015 "die Nachweise über den Tag der Gutschrift/Auszahlung des Lohns von Herrn C der Abrechnungen Oktober 2014 bis Januar 2015 (Kontoauszüge, Quittungen o.ä.)" und die Heizkostenabrechnung nicht vorlägen. Zur Vorlage der Unterlagen setzte er eine Frist bis zum 16.07.2015. In dem Schreiben heißt es u.a.: "Haben Sie bis zum genannten Termin nicht reagiert oder die erforderlichen Unterlagen nicht eingereicht, können die Geldleistungen ganz versagt werden, bis Sie die Mitwirkung nachholen (§§ 60, 66, 67 Erstes Buch Sozialgesetzbuch). Dies bedeutet, dass Sie und die mit Ihnen in der Bedarfsgemeinschaft lebenden Personen keine Leistungen erhalten".
Mit Bescheid vom 30.07.2015, adressiert an die Klägerin zu 1), versagte der Beklagte die Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhaltes für die Zeit ab dem 01.10.2014 bis zum 31.01.2015 unter Berufung auf § 66 SGB I ganz. Die Klägerin zu 1) habe trotz Aufforderung die Nachweise über den Tag der Gutschrift/Auszahlung d...