Entscheidungsstichwort (Thema)
Grenzen der freien Beweiswürdigung des Gerichts
Orientierungssatz
1. Das Gericht überschreitet die Grenzen der freien Beweiswürdigung nach § 128 Abs. 1 S. 1 SGG, wenn es gegen allgemeine Erfahrungssätze verstößt oder wenn es das Gesamtergebnis des Verfahrens nicht ausreichend und umfassend berücksichtigt.
2. Die Glaubhaftmachung des im einstweiligen Rechtsschutz erforderlichen Anordnungsgrundes kann sich u. a. aus der Vorlage der Verwaltungsakte des Antragsgegners ergeben. Insoweit ist das Gericht nach § 103 SGG verpflichtet, den Eingang der Verwaltungsakte abzuwarten, um zu prüfen, ob die geforderten Unterlagen bereits im Verwaltungsverfahren vorgelegt worden sind. Anderenfalls ist der Rückschluss von einer vermeintlichen Verletzung prozessualer Mitwirkungsobliegenheiten auf eine fehlende Glaubhaftmachung des Anordnungsgrundes nicht zulässig.
3. Das Gericht verstößt gegen den Grundsatz des fairen Verfahrens, wenn es bei einer Fristversäumnis beider Beteiligter lediglich für einen der beiden Beteiligten negative Folgen ausschließt.
Tenor
Auf die Beschwerde der Antragsteller wird der Beschluss des Sozialgerichts Dortmund vom 14.03.2017 geändert. Der Antragsgegner wird verpflichtet, den Antragstellern Leistungen zur Deckung des Regelbedarfs vom 01.03.2017 bis zum 31.08.2017 nach Maßgabe der gesetzlichen Vorschriften zu zahlen.
Der Antragsgegner hat die Kosten der Antragsteller in beiden Rechtszügen zu erstatten.
Den Antragstellern wird für beide Rechtszüge Prozesskostenhilfe bewilligt und Rechtsanwalt Q, I, beigeordnet.
Gründe
I.
Die Antragsteller begehren im Wege des einstweiligen Rechtsschutzes Leistungen zur Deckung des Regelbedarfs ab 01.03.2017.
Die am 00.00.1986 geborene Antragstellerin zu 1) ist die Mutter der Antragstellerin zu 2) (geboren am 00.00.2006), des Antragstellers zu 3) (geboren am 00.00.2008) und des Antragstellers zu 4) (geboren am 00.00.2010). Die Antragsteller zu 2) bis 4) sind Schüler. Die Antragsteller sind rumänische Staatsangehörige und seit Oktober 2015 unter der Adresse N Ring 00 in I gemeldet. Die Antragsteller bewohnen eine 63 qm große Mietwohnung für eine Gesamtmiete von 420 EUR.
Am 08.04.2016 beantragten die Antragsteller Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhalts. Die Antragstellerin zu 1) erklärte, sie sei als Reinigungskraft bei der Pizzeria N, I, tätig und legte einen entsprechenden "Personalfragebogen" vor, wonach sie acht Stunden wöchentlich bei einem Monatsgehalt von 280 EUR arbeite. Die Antragstellerin zu 1) legte eine "Einkommensbescheinigung", die Bezügeabrechnungen, Stundenzettel sowie den am 11.10.2016 unterschriebenen Arbeitsvertrag vor. Die Knappschaft-Bahn-See bestätigte, dass die Antragstellerin zu 1) als geringfügig Beschäftigte bei der Minijobzentrale gemeldet ist. Bei Wohnungsbesichtigungen am 23.06.2016 und am 25.10.2016 traf der Außendienst des Antragsgegners die Antragsteller in der Wohnung an, Hinweise auf die Anwesenheit einer männlichen Person lagen nicht vor.
Hinsichtlich des Vaters der Antragsteller zu 2) bis 4) erklärte die Antragstellerin zu 1) gegenüber der Stadt I als zuständiger Stelle nach dem UVG, dieser heiße H, habe zunächst ebenfalls in der Wohnung N Ring 00 gewohnt, sei aber kurz vor Weihnachten 2015 "abgehauen". Dennoch legte die Antragstellerin zu 1) im Oktober 2016 den rumänischen Personalausweis des Kindsvaters vor. Bei einer weiteren Prüfung am 15.12.2016 traf der Außendienstmitarbeiter des Antragsgegners Herrn H in der Wohnung an. Die Antragstellerin zu 1) erklärte hierzu, Herr H lebe nicht mit ihr in einem Haushalt, sondern komme "ab und zu vorbei, um seine Kinder zu besuchen".
Mit Bescheid vom 17.02.2017 lehnte der Antragsgegner den Antrag auf Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhalts ab, weil die Hilfebedürftigkeit der Antragsteller nicht nachgewiesen sei. Hiergegen legten die Antragsteller Widerspruch ein.
Am 01.03.2017 haben die Antragsteller beim Sozialgericht Dortmund beantragt, den Antragsgegner im Wege der einstweiligen Anordnung zu verpflichten, "Regelleistungen nach dem SGB II" vom 01.03.2017 bis zum 01.09.2017 zu zahlen. Die Antragstellerin zu 1) hat eidesstattlich versichert, abgesehen von dem Arbeitseinkommen iHv 280 EUR monatlich und dem Kindergeld nicht über Einkommen und nicht über Vermögen zu verfügen. Der Vater der Kinder lebe nicht in Deutschland, der letzte ihr bekannte Aufenthalt sei Budapest gewesen.
Mit Verfügung vom 02.03.2017, die dem Bevollmächtigten der Antragsteller am selben Tag per Fax übermittelt worden ist, hat das Sozialgericht den Antragstellern aufgegeben, Lohn- und Gehaltsabrechnungen ab 01.04.2016 und Kontoauszüge ab dem 01.10.2016 vorzulegen sowie darzulegen, wovon die Antragsteller seit April 2016 ihren Lebensunterhalt ohne Leistungen sichergestellt haben. Dem Antragsgegner ist aufgegeben worden, auf den Antrag zu erwidern und die Verwaltungsvorgänge vorzulegen. Beiden Beteiligten hat das Sozialgericht Frist bis zum 10.03.2017 gesetzt.
Mit Beschluss vom 13.03.2017 hat das ...