Entscheidungsstichwort (Thema)
Gewährung von Opferentschädigung wegen der Folgen eines ärztlichen Übergriffs
Orientierungssatz
1. Eine frauenärztliche Untersuchung, die in Zudringlichkeiten und ungewollte Zärtlichkeiten im Intimbereich ausartet, stellt einen sexuellen Übergriff und damit eine strafbare körperliche Misshandlung i. S. von § 223 Abs. 1 1. Alternative StGB und somit eine vorsätzliche Körperverletzung dar. Ein solcher Eingriff ist gleichzeitig ein vorsätzlicher rechtswidriger tätlicher Eingriff i. S. des § 1 Abs. 1 OEG, wenn er aus Sicht eines verständigen Dritten in keiner Weise dem Wohl des Patienten dient.
2. Liegen als Folgen des tätlichen Angriffs allenfalls noch Restsymptome einer posttraumatischen Belastungsstörung vor, die mit einer wesentlichen Einschränkung der Erlebnis- und Gestaltungsfähigkeit nicht verbunden sind, so ist keine gesundheitliche Schädigung erlitten, die nach § 1 Abs. 1 S. 1 OEG i. V. m. § 31 Abs. 1 BVG zum Rentenbezug berechtigen würde.
Tenor
Die Berufung der Klägerin gegen das Urteil des Sozialgerichts Detmold vom 22.02.2010 wird zurückgewiesen.
Kosten sind nicht zu erstatten.
Die Revision wird nicht zugelassen.
Tatbestand
Die am 00.00.1960 geborene Klägerin begehrt Rente nach dem Opferentschädigungsgesetz (OEG) in Verbindung mit dem Bundesversorgungsgesetz (BVG) wegen angeschuldigter sexueller Übergriffe ihres Frauenarztes am 03.03.2003.
Am 12.01.2004 beantragte die Klägerin beim Versorgungsamt C Versorgung wegen Angstzuständen, Schlafstörungen und depressiven Verstimmungen. Die Opferschutzorganisation "Weisser Ring" trug für sie schriftlich vor, sie sei am 03.03.2003 in der Praxis ihres Frauenarztes Dr. L (L.) zu einer Kontrolluntersuchung gewesen. Dabei sei es zu "sexuellen Übergriffen" gekommen. Nach einiger Zeit habe eine andere Person die Anmeldung betreten und L. habe sich dorthin begeben. Sie habe ihre Chance erkannt und fluchtartig die Praxis verlassen. L. habe in der Nacht zum 04.03.2003 Selbstmord begangen.
Das seinerzeit zuständige Versorgungsamt C nahm Einsicht in die Akten der Staatsanwaltschaft C (66 Js 135/03) und den darin enthaltenen Bericht über die Anzeige der Klägerin sowie das Protokoll ihrer polizeilichen Vernehmung vom 04.03.2003. Darin schilderte die Klägerin detailliert, wie ihr Frauenarzt während einer aus ihrer Sicht unnötig ausführlichen vaginalen Untersuchung vielfach mit einem Finger der einen Hand sowie mit einem Ultraschallgerät in sie eingedrungen sei. Gleichzeitig habe er mit der anderen Hand, wie schon vorher, ihren Bauch gestreichelt. Dabei habe er merkwürdig gegrinst und gelacht, als ob er unter Drogen stehe und sie gefragt, ob sie dabei nicht, wie er, "Gefühle empfinde". Zudem habe er sie in der Praxis mehrmals bedrängt und "Küsschen" von ihr eingefordert, die sie aber verweigert habe. Nach Beendigung der vaginalen Untersuchung habe er vorgegeben, er müsse nochmals ihre Brust untersuchen und habe unter ihrer Oberbekleidung ihre Brüste gestreichelt. Der Arzt sei aufdringlich geworden und habe versucht, sie zu umarmen. Sie sei aus der Praxis richtig geflüchtet. Das Strafverfahren wurde in der Folge eingestellt, weil sich der L. das Leben genommen hatte. Die vernehmende Kriminalbeamtin notierte dazu in einem Vermerk, die Klägerin sei bei der Vernehmung aufgewühlt gewesen, der Sachverhalt sei unter Tränen aus ihr "herausgesprudelt". Es bestünden keine Zweifel.
Das Versorgungsamt C holte einen Befundbericht von dem Facharzt für Allgemeinmedizin Dr. S vom 06.02.2004 ein. Darin führt dieser aus, die Klägerin habe sich am 02.10.2003 in ausgesprochen erregtem Zustand in der Praxis vorgestellt und über sexuellen Missbrauch vor Monaten sowie über Schlafstörungen und Angstzustände berichtet. Er diagnostizierte eine psychische Dekompensation bei Verdacht auf sexuellen Missbrauch.
Die ebenfalls um Auskunft ersuchte Dipl.-Sozialpädagogin I von der Frauenberatungsstelle "I" in F führte in einer Mitteilung vom 10.05.2004 über sechs psychosoziale Beratungsgespräche mit der Klägerin aus, sie habe der stark traumatisierten Klägerin eine Therapie empfohlen. Die Klägerin leide seit dem Übergriff in der Arztpraxis unter starken Ängsten, massiv gestörtem Schlaf und sexuellen Störungen, die zu großen Spannungen in der Ehe führten.
Das Versorgungsamt C holte daraufhin ein psychiatrisch-psychotherapeutisches Gutachten von Frau Dr. T1 vom 04.04.2005 ein. Bei der Untersuchung am 22.03.2005 gab die Klägerin an, sie sei noch gar nicht über das Geschehen hinweg. Sie schilderte Schlafstörungen und Albträume, in denen sie den Arzt vor sich im Zimmer stehen sehe. Sie könne keine Männerkontakte mehr aushalten, gerate dann in Angstzustände und sehe wieder vor sich, was passiert sei. Sie sei sehr schreckhaft geworden. Sie könne auch die Berührung ihres Mannes nicht gut aushalten, sie habe seitdem Schwierigkeiten in der Sexualität. Das erste Jahr nach dem Geschehen habe sie sich kaum aus dem Haus getraut. Die Therapie bei der Beratungsstelle I habe aber schon etwas gebracht.
Die ...