Entscheidungsstichwort (Thema)
Ermittlung des maßgeblichen Pflegegrades bei bestehender Pflegebedürftigkeit des Versicherten
Orientierungssatz
1. § 14 SGB 11 definiert den Begriff der Pflegebedürftigkeit. Danach ist pflegebedürftig eine Person, die körperliche, kognitive oder psychische Beeinträchtigungen oder gesundheitlich bedingte Belastungen oder Anforderungen nicht selbständig kompensieren oder bewältigen kann.
2. Nach § 15 SGB 11 erhalten Pflegebedürftige einen Grad der Pflegebedürftigkeit nach der Schwere der Beeinträchtigungen der Selbständigkeit oder der Fähigkeiten. Der Pflegegrad wird mit Hilfe eines pflegefachlich begründeten Begutachtungsinstruments ermittelt. Dieses ist in sechs Module gegliedert.
3. Zur Ermittlung des Pflegegrades sind die bei der Begutachtung festgestellten Einzelpunkte in jedem Modul zu addieren und dem in Anlage 2 festgelegten Punktbereich sowie den sich daraus ergebenden gewichteten Punkten zuzuordnen.
4. Die befristete Gewährung von Pflegeleistungen ist nach § 33 Abs. 1 S. 3 SGB 11 eine Option, die weder gesetzliche Pflicht noch Regel ist. Regelhaft handelt es sich um eine Dauerleistung, die unter den Voraussetzungen der §§ 45 ff. SGB 10 gfs. entzogen werden kann.
Nachgehend
Tenor
Die Berufung der Klägerin gegen den Gerichtsbescheid des Sozialgerichts Gelsenkirchen vom 23.09.2020 wird zurückgewiesen.
Kosten sind auch in der Berufungsinstanz nicht zu erstatten.
Die Revision wird nicht zugelassen.
Tatbestand
Die Beteiligten streiten um die Rechtmäßigkeit der Entziehung von Leistungen nach Pflegegrad 2.
Die am 00.00.1974 geborene und bei der Beklagten kranken- und pflegeversicherte Klägerin ist gelernte Verwaltungsfachangestellte und war bis 2012 beim Kreis S beschäftigt. Sie ist geschieden und hat keine Kinder. Nach Bezug von Krankengeld und Arbeitslosengeld lebte sie zunächst von Grundsicherungsleistungen nach dem Zweites Buch Sozialgesetzbuch (SGB II). Mit Bescheid vom 09.07.2020 wurde ihr rückwirkend ab dem 01.05.2019 eine Rente wegen voller Erwerbsminderung (in Höhe von monatlich: EUR 661,72) zuerkannt. Sie beantragte erstmalig am 26.07.2017 Leistungen der Pflegeversicherung. Sie bewohnte alleinlebend zunächst zur Miete eine Zechenhaushälfte, seit dem 01.01.2020 lebt sie in einer 56 qm großen Wohnung im Erdgeschoss eines Mehrfamilienhauses, die über 4 Treppenstufen zu erreichen ist und über eine ebenerdige Dusche verfügt. Sie beschäftigt eine Haushaltshilfe und wird von ihrer Schwester gepflegt und unterstützt. Als Hilfsmittel nutzt sie zwei Gehstützen, ein Rückenstützmieder, einen erhöhten Toilettensitz und Vorlagen. Die Klägerin hat einen anerkannten Grad der Behinderung (GdB) von 60.
Der von der Beklagten eingeschaltete Sozialmedizinische Dienst (SMD) stellte in seinem Gutachten vom 12.10.2017 (durch die Pflegefachkraft ≪PFK≫ K) aufgrund Hausbesuchs als pflegebegründende Diagnosen eine Lumboischialgie beidseits mit erheblichen Mobilitätseinschränkungen sowie depressive Episoden und darüber hinaus eine tröpfelnde Harndranginkontinenz fest. Er ermittelte anhand der Berechnungs- und Bewertungsregelungen von 6 Modulen zur Bestimmung der Pflegegrade eine Summe von insgesamt 40 gewichteten und damit Pflegegrad 2 zuzuordnenden Punkten (Modul 1 ≪Mobilität≫: 7 Punkte und 7,5 gewichtete Punkte; Modul 2 ≪kognitive und kommunikative Fähigkeiten≫: 0 Punkte; Modul 3 ≪Verhaltensweisen und psychische Problemlagen≫: 0 Punkte; Modul 4 ≪Selbstversorgung≫: 14 Punkte und 20 gewichtete Punkte; Modul 5 ≪Bewältigung von und Umgang mit krankheits- und therapiebedingten Anforderungen≫: 1 Punkt und 5 gewichtete Punkte; Modul 6 ≪Gestaltung des Alltagslebens und sozialer Kontakte≫: 6 Punkte und 7,5 gewichtete Punkte). Eine Nachuntersuchung werde nach Ablauf von einem Jahr empfohlen.
Die Beklagte bewilligte darauf mit Bescheid vom 23.10.2017 Leistungen nach Pflegegrad 2 rückwirkend ab Antragstellung in Gestalt von Pflegegeld.
Im Rahmen der Wiederholungsbegutachtung vom 18.12.2018 mit psychiatrischer Zusatzbegutachtung vom 19.01.2019 ermittelte der SMD (durch die PFK B und die Ärztin J) aufgrund der pflegebegründenden Diagnosen sonstige Bandscheibenschäden, rezidivierende depressive Störung: gegenwärtig leicht bis mittelgradig und Somatisierungsneigung, sowie der weiteren Diagnosen Schilddrüsenvergrößerung, Vitamin D-Mangel, Gelenk- und Knieschmerzen, insgesamt nur noch im Modul 3 einen Einzelpunkt für Antriebslosigkeit bei depressiver Stimmungslage und damit 3,75 gewichtete Punkte. Das Gutachten enthielt ferner die Feststellung, dass die Klägerin aus einer stationären Reha in einer Fachklinik für psychiatrische Erkrankungen in Ortenau 2016 vorzeitig (wegen mangelnder Compliance bezüglich einer medizinischen Einstellung) als vollschichtig leistungsfähig vorzeitig entlassen worden sei.
Die Beklagte hörte die Klägerin darauf (mit Schreiben vom 22.01.2019) zur beabsichtigten Aufhebung ihrer Leistungsbewilligung wegen Fortfalls der Voraussetzungen an.
Die ...