Entscheidungsstichwort (Thema)
Förderung der Teilhabe am Arbeitsleben. Werkstatt für behinderte Menschen. Eingangs- und Berufsbildungsbereich. Arbeitsassistenz. Mindestmaß wirtschaftlich verwertbarer Arbeitsleistung. Werkstattfähigkeit. Verfassungsrecht. UNBehRÜbk
Leitsatz (amtlich)
1. Eine Arbeitsassistenz kann auch für einen Arbeitsplatz in einer Werkstatt für behinderte Menschen (WfbM) für den Eingangs- und den Berufsbildungsbereich geleistet werden.
2. Eine Förderung durch Teilhabeleistungen mit dem Mittel der Arbeitsassistenz kommt im Berufsbildungsbereich in Betracht, wenn prognostisch nicht ausgeschlossen ist, dass der behinderte Mensch im anschließenden Arbeitsbereich der WfbM ein ausreichendes Leistungsvermögen erlangen kann, um ohne Assistenzleistung mit dem vorgesehenen Personalschlüssel in Arbeitsvorgängen eingesetzt werden zu können.
Orientierungssatz
Bei der Frage welche Kriterien für die Prognose einer Werkstattfähigkeit anzulegen sind, sind die grundgesetzliche Relevanz in Bezug auf die Menschenwürde, das Sozialstaatsgebot und das Diskriminierungsverbot (Art 3 Abs 3 S 2 GG) sowie Art 27 der UN-Behindertenrechtskonvention zu beachten.
Tenor
Der Beschluss des Sozialgerichts Halle vom 6. August 2014 wird abgeändert und die Antragsgegnerin verpflichtet, für die Antragstellerin ab dem 1. Dezember 2014 bis zum 17. Februar 2015 vorläufig die Kosten für eine tägliche Arbeitsassistenz im Berufsbildungsbereich der Werkstatt für behinderte Menschen der E. S. H. e. V. im Umfang von sieben Stunden täglich zu übernehmen. Im Übrigen wird die Beschwerde zurückgewiesen.
Der Antragstellerin wird Prozesskostenhilfe ohne Ratenzahlung für das Beschwerdeverfahren für die ungedeckte Eigenbeteiligung in Höhe von 150 EUR unter Beiordnung von Rechtsanwältin J. bewilligt.
Die Antragsgegnerin trägt die außergerichtlichen Kosten der Antragstellerin zu 2/3.
Gründe
I. Die Antragstellerin begehrt von der Antragsgegnerin Leistungen für eine ganztägige Arbeitsassistenz im Berufsbildungsbereich einer Werkstatt für behinderte Menschen (WfbM).
Die 1995 geborene Antragstellerin ist schwerstbehindert (Gdb 100, Merkzeichen aG, H usw.), ihre Mutter ist als ihre Betreuerin für bestimmte Aufgabenkreise (Sorge für die Gesundheit, Aufenthaltsbestimmung und Vermögenssorge) bestellt. Die Antragstellerin absolvierte eine schulische Ausbildung am Landesbildungszentrum für Körperbehinderte in H. und begehrte danach Leistungen zur Teilhabe am Arbeitsleben von der Antragsgegnerin. Die Antragsgegnerin holte eine sozialmedizinische Stellungnahme von Dr. P. , Fachärztin für Arbeitsmedizin, zu der Frage ein, ob bei der Antragstellerin so schwere Einschränkungen bestünden, dass eine Eingliederung in eine WfbM zu empfehlen sei und ob die die Antragstellerin gemeinschaftsfähig sei. In ihrer Stellungnahme vom 25. Januar 2013 führte die Ärztin aus: Es bestehe als Gesundheitsstörung eine Geh- und Stehunfähigkeit infolge infantiler Zerebralparese mit spastischer Lähmung beider Arme und Beine und eine Sehbehinderung (mit Brille bds. 0,15), Hand- und Greiffunktion bds. seien kraftlos. Es bestünden Koordinationsstörungen, eine inkomplette Harninkontinenz und es sei Hilfe beim Essen erforderlich. Das Sprachverständnis liege auf einfachem Niveau vor. Nach Einschätzung der Gutachterin sei eine Integration in eine geeignete WfbM erforderlich. Im Eingangsbereich der WfbM solle geprüft werden, welchen Anforderungen die Antragstellerin genüge und welche Arbeitshilfen sie benötige.
Die Antragstellerin stellte am 3. April 2013 einen Antrag auf Leistungen zur Teilhabe am Arbeitsleben bei der Antragsgegnerin. Mit Bescheid vom 5. April 2013 erklärte sich die Antragsgegnerin gegenüber der Antragstellerin als zuständige Leistungsträgerin und meldete diese für eine Teilnahme am Eingangsverfahren in einer WfbM an. In einem Schreiben der Antragsgegnerin an das Integrationsamt vom 1. Juli 2013 lautet es: "Die Antragstellerin wird ( ) das Eingangsverfahren und anschließend den Berufsbildungsbereich (BBB) ( ) absolvieren. Hierfür hat sie Leistungen zur Teilhabe am Arbeitsleben, u. a. die Kostenübernahme für eine Arbeitsassistenz beantragt. Entsprechend der Verwaltungsabsprache über die Gewährung von begleitenden Hilfen im Arbeitsleben nach dem Zweiten Teil des SGB IX im Verhältnis zu den Leistungen zur Teilhabe am Arbeitsleben, bitte ich um Prüfung des individuellen Assistenzbedarfes sowie um ggf. Ausführung der Leistung."
Daraufhin bewilligte das Integrationsamt (Beigel. zu 3.) nach eigener Prüfung mit Bescheid vom 5. September 2013 für das Eingangsverfahren einen Zuschuss für drei Monate von insgesamt bis zu 5.382 EUR, entsprechend einem Tagessatz von 1.794 EUR pro Monat incl. Regiekosten. Bei der Ermittlung habe es einen arbeitstäglichen Unterstützungsbedarf für eine Arbeitsassistenz von mindestens sieben Stunden zugrunde gelegt. Daneben bewilligte die Antragsgegnerin der Antragstellerin Ausbildungsgeld in Höhe von 63 EUR monatlich und Lehrgangskosten, die direkt an den Träger der M...