Prof. Dr. Barbara E. Reinhartz, Dr. Paul Vlaardingerbroek
a) Nachehelicher Unterhalt
Rz. 101
Der Richter kann zum Zeitpunkt der Ehescheidung oder ggf. später demjenigen Ehegatten, der über unzureichende Einkünfte für seinen Lebensunterhalt verfügt und solche in redlicher Weise auch nicht erwerben kann, auf dessen Antrag und zu Lasten des anderen Ehegatten Unterhaltszahlungen zusprechen (Art. 1:157 Abs. 1 BW). Diese nacheheliche Unterhaltspflicht entsteht grundsätzlich am Tag der Eintragung der Entscheidung über die Ehescheidung in die Zivilstandsregister (Art. 1:163 BW).
Rz. 102
Allgemeine Voraussetzung für die Zuerkennung eines nachehelichen Unterhalts ist der Unterhaltsbedarf des Antragstellers. Dieser ist unterhaltsbedürftig, wenn er über unzureichende Einkünfte verfügt (sei es aus Arbeit oder Vermögen) und solche redlicherweise auch nicht erwerben kann. Der Richter hat die Leistungsfähigkeit des Unterhaltspflichtigen getrennt festzustellen. Die Leistungsfähigkeit bemisst sich nach seinem Einkommen und Vermögen. Hierbei wird nicht nur das, was ihm rechtens und faktisch zur Verfügung steht, berücksichtigt, sondern auch das, was er sich redlicherweise erwirtschaften kann. Gibt der Ehemann aus freien Stücken Einkünfte auf und beeinträchtigt er dadurch seine Leistungsfähigkeit, kann der Richter die Einkommenseinbußen außer Betracht lassen – es sei denn, er kommt zu dem Schluss, dass die Vorgehensweise des Ehemannes durch die Umstände gerechtfertigt war. Die Leistungsfähigkeit wird auch durch die vom Ehemann eingegangenen Verpflichtungen beeinflusst. Der Richter kann diese entsprechend berücksichtigen.
Rz. 103
Die Arbeitsgruppe "Unterhalt" der Nederlandse Vereniging voor Rechtspraak hat im Jahre 2001 einen überarbeiteten Bericht mit Empfehlungen für die Berechnung des Ehegattenunterhalts, der jährlich angepasst wird, publiziert. Die sog. Alimentatienormen werden jedes Jahr aktualisiert und sind für die Praxis von größter Bedeutung, obwohl der Richter nicht an sie gebunden ist.
Rz. 104
Seit 2014 hat das niederländische Parlament über die Änderung der Dauer der Unterhaltspflicht diskutiert. Bis 2020 betrug die Höchstdauer zwölf Jahre. Das Gericht hat allerdings die Möglichkeit, diese Frist zu verlängern, wenn besondere Gründe dies rechtfertigen. Die meisten Frauen sind berufstätig, auch mit Kindern, und darum wird die Meinung vertreten, dass Frauen nicht allzu lange von ihrem ehemaligen Partner abhängig sein sollten. Ein neuer Initiativ-Gesetzentwurf ging dahin, dass die Unterhaltspflicht in der Regel nach 5 Jahren beendet wird. Der Gesetzesentwurf ist in Kraft getreten zum 1.1.2020. Da die Anwendung des neuen Rechts begrenzt war auf Ehescheidungen, die ab diesem Tag eingereicht werden, gab es eine Hausse von Ehescheidungsanträgen zum Ende des Jahres 2019 von unterhaltsberechtigten Ehegatten.
b) Neues Gesetz über den nachehelichen Unterhalt
Rz. 105
Außerdem sollte die Grundlage für die Unterhaltspflicht nach der Ehescheidung nach diesem Entwurf der Ausgleich des Einkommensverlusts sein, der bei einem der Ehegatten während der Ehe entstanden ist. Diese Änderung ist nicht angenommen, sodass letztendlich nur die Höchstdauer der Unterhaltszahlungen verkürzt wurde. Wenn die Ehe nicht länger als 3 Jahre bestanden hat und die Ehegatten keine gemeinsamen Kinder unter 12 Jahren haben, soll es keine nacheheliche Unterhaltspflicht geben. In anderen Fällen ist die Höchstdauer der Unterhaltspflicht der Dauer der Ehe angeglichen, aber mit einem Maximum von 5 Jahren. Wenn aber die unterhaltsberechtigte Person die Sorge hat für die gemeinsamen Kinder, dann besteht die Unterhaltspflicht des anderen Elternteils bis zum 12. Lebensjahr des jüngsten gemeinsamen Kindes. Für Unterhaltsempfänger, die schon älter sind, gibt das Gesetz in Art. 1:157 Abs. 2 und 3 BW längere Fristen, sodass sie nicht in den Umstand kommen, dass der nacheheliche Unterhalt endet, bevor sie die staatliche Altersrente bekommen. In besonderen Fällen kann ...